Oftersheim. Als Weltmeisterin 2019 und 2022 sowie Olympiasiegerin 2021 und mit Gold, Silber und Bronze bei Europameisterschaften außerordentlich erfolgreich, hat die Oftersheimerin keinen Druck mehr, sich beweisen zu müssen. Wir fragen nach, wie sich vor Wettkämpfen fühlt, aber auch, wie sie auf andere Themen blickt.
Wie ist denn aktuell die Form, die Gesundheit, die körperliche Verfassung – alles im Plan?
Malaika Mihambo: Ja doch, das kann man so sagen. Ich bin sehr zufrieden und zuversichtlich auch für den Sommer. Ich habe mich nach der Verletzung vergangenes Jahr gut erholt. Wir haben im Trainingsplan einiges umgestellt. In Sachen Kraft zum Beispiel von zweieinhalb auf drei Einheiten gesteigert. Das hat mir einfach gutgetan. Ich hatte die letzten Monate auch verletzungsfrei durchtrainieren können. Nach der Hallensaison hatte ich das Gefühl, dass ich noch mal quasi eine Schippe drauflegen konnte. Das hat sich auch jetzt schon gezeigt von den Geschwindigkeitswerten her. Von daher gehe ich mit einem guten Gefühl in die weitere Saison.
Mehr Kraft heißt aber nicht, dass das zulasten der Schnelligkeit und Spritzigkeit geht?
Mihambo: Nein, ich habe nicht wesentlich mehr an Kilos zugenommen. Ich bin jetzt keine Bodybuilderin geworden. Ich bin immer noch ähnlich vom Last-Kraft-Verhältnis. Das hat mir aber geholfen, noch besser in meine Geschwindigkeit zu kommen.
Das ist ja alles ausgerichtet auf Paris. Wie ist die Form derzeit, bei wie viel Prozent sind Sie?
Mihambo: In Prozent kann ich das, glaube ich, gar nicht genau beschreiben. Die EM in Rom wird schon auch ein Höhepunkt sein, aber bei weitem nicht so wichtig und so groß wie Paris. Ich weiß, dass ich jetzt doch ein paar Tage Zeit habe, um die Form für Paris zu entwickeln. Wir haben an vielen Stellschrauben noch gar nicht gedreht, zum Beispiel, was die Schnell- und Maximalkraft angeht. Das gehen wir jetzt erst an, da es an die Wettkämpfe geht. Dann natürlich auch der Bereich maximale Geschwindigkeit. Das sind einfach Dinge, die noch wichtig sind. Und zudem steigen wir jetzt auch erst wieder vermehrt in das Techniktraining ein. Von daher gibt es noch viel zu tun, aber ich weiß auch, dass Trainingsmittel da sind, die schnell anschlagen und Wirkung zeigen. Aber ich kann mich auch glücklich schätzen, dass es jetzt schon ohne diese Trainingsmethoden so gut läuft.
Sie haben in Ihrer Karriere sportlich eigentlich alles erreicht. Macht man sich dann selbst Druck, das noch mal erreichen zu müssen oder ist es eher Motivation? Oder sorgt er sogar für Gelassenheit?
Mihambo: Für mich ist es mehr Gelassenheit, weil ich weiß, ich muss niemandem mehr was beweisen – nicht mir und nicht anderen Leuten. Ich bin, glaube ich, freier und merke, dass es so eine gewisse Leichtigkeit mit sich bringt und ich habe das Gefühl, dass ich mit dieser Leichtigkeit noch mehr Kräfte entwickle als unter Druck.
Jetzt sind Sie vor Kurzem 30 geworden. Das ist ja für viele eine Marke. Hat sich der Mensch Malaika mit 30 verändert, ist das dadurch eine andere Einstellung geworden oder ist es einfach nur ein Datum?
Mihambo: Für mich ist es einfach nur ein Datum. Ich glaube, wir wissen, dass wir alle älter werden und es nur in eine Richtung geht. Daher ist es für mich auch in Ordnung. Ich weiß, dass es viele Athletinnen gab, die erst in ihren Dreißigern quasi ihre Lebensbestleistung aufgestellt haben. Von daher bin ich zuversichtlich, dass ich auf jeden Fall noch genügend Kraft und Fähigkeiten habe. Ich freue mich einfach auf die nächsten Jahre, weil jetzt das zusammenkommt, was man sich in zehn oder zwölf Jahren Hochleistungssport erarbeitet hat. Aus dieser gewonnenen Lebenserfahrung und natürlich der Wettkampferfahrung kann ich noch einmal viel ziehen.
Ist es da im Hinterkopf, dass es vielleicht die letzten Olympischen Spiele für Sie sein könnten? Oder ist die Zukunft völlig offen, wenn Sie verletzungsfrei bleiben?
Mihambo: Für mich geht es darum, gesund zu bleiben, dass der Körper den Leistungssport auch weiterhin mitmacht. Es geht aber auch darum, dass ich mich mental gut fühle und glücklich bin mit dem, was ich mache. Und sollte das der Fall sein, dann kann ich mir auch noch gut vorstellen, bis Los Angeles weiter Leistungssport zu machen. Aber in Los Angeles wäre dann für mich auf jeden Fall der späteste Zeitpunkt, um meine Spikes an den Nagel zu hängen.
Sie haben das Stichwort Gelassenheit gegeben. Sie waren schon einmal längere Zeit in Indien. Haben Sie von dieser Reise etwas mitgenommen in Sachen Meditation?
Mihambo: Ich habe da auf jeden Fall sehr viel mitgenommen. Ich mache ja in der Regel einmal im Jahr einen größeren Meditationskurs und ergänze diesen ab und an mit kleineren Wochenendkursen. Ich merke einfach, wie man da dazulernt und sich weiterentwickelt. Ich bin aber auch jemand, der sich nicht dogmatisch in eine Richtung festlegt. Ich schaue einfach immer situativ, was ich heute brauche und in welcher Phase ich bin. Dann passe ich meine Meditationspraxis an und mache das, was ich im jetzigen Moment brauche. So bin ich immer sehr flexibel, aber auch sehr zielgenau.
Würden Sie das auch jungen Sportlern empfehlen, sich auf diese Weise Kraft zu holen?
Mihambo: Auf jeden Fall, auch unabhängig vom Leistungssport. Meditation ist etwas, was in allen Lebenslagen unterstützen kann. Sei es nur, um den Fokus zu halten oder natürlich auch, um zur Ruhe zu kommen, die eigene Mitte zu finden. Was den Wert der Meditation steigert, ist meiner Meinung nach die Selbstreflexion. Wenn man das zusammen kombiniert, kann man dadurch in seiner persönlichen Entwicklung sehr weit kommen und sehr viel für sich herausziehen. Es ist auch etwas, das jeden im Alltag begleiten kann, um zu schauen, wie man für sich ein sinnvolles, glückliches Leben führen kann, dass man resilient ist gegenüber Druck und Stress und mit Erfolg die Dinge verfolgen kann, die einem wichtig sind.
Sie haben vorhin gesagt, jetzt sind es schon zehn oder zwölf Jahre absoluter Leistungssport. Ist es heute quasi mitentscheidend, wie Sie sich als Athletin in dieser langen Zeit verändert haben?
Mihambo: Auf jeden Fall. Das wird mir ja oft auch nachgesagt, dass ich so eine unheimliche mentale Stärke habe. Die fällt natürlich auch nicht einfach so vom Himmel. Das ist eben etwas, was man trainieren kann. Ich habe sehr viel Zeit und Muße investiert, um mich da in diesem Bereich weiterzuentwickeln. Ich merke aber auch, wie es sich abseits des Sportplatzes bezahlt macht und mir so viel Stärke mit auf meinem Weg gibt. Das ist auf jeden Fall etwas, das mich eben in den letzten Jahren dazu gebracht hat, diese Leistungsfähigkeit möglich zu machen.
Sie waren kürzlich beim HardtRun bei ihrem Heimatverein. Wie eng ist der Bezug noch zum TSV Oftersheim und zur Gemeinde Oftersheim, in der Sie ja immer noch leben?
Mihambo: Sehr eng. Ich verbringe natürlich nach wie vor einen Großteil meiner Zeit in Oftersheim. Ich fühle mich hier wohl und bin auch gerne beim TSV. Entweder, um selbst zu trainieren oder so wie jetzt beim HardtRun mal wieder vorbeizuschauen, was die anderen machen. Oder auch die Leute im Hintergrund des Vereins zu treffen. Es ist einfach schön zu sehen, wie das Vereinsleben so lebendig ist – dank des Einsatzes der ganzen Ehrenamtlichen und der Unterstützer. Und wie sich die Kinder, aber auch die Erwachsenen entwickeln und auf ihren Wettkampf freuen, um sich mit anderen zu messen, über sich hinauszuwachsen und an ihre Grenzen zu gehen.
Also ist der TSV-Sportplatz auch nach wie vor in so gutem Zustand, dass dort eine Olympiasiegerin trainieren kann?
Mihambo: Ja, auf jeden Fall. Ich bin zwar momentan weniger da als in der Vergangenheit, weil meine Trainingsgruppe in Mannheim ist. Aber ich trainiere auch immer mal wieder in Oftersheim und freue mich darauf.
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An diesem Sonntag stehen die Wahlen an und Sie sind ein Mensch, der immer sehr mit offenen Augen und sehr reflektiert auch auf das Weltgeschehen blickt. Könnten Sie sich vorstellen, irgendwann mal selbst in die Politik zu gehen?
Mihambo: Nein, eher nicht, weil ich denke, dass Politiker ein Beruf ist, der auf jeden Fall sehr viele Kapazitäten braucht, sehr viel Einsatz und sehr anstrengend ist. Daher bewundere ich auch den Mut und die Kraft, die Politiker aufbringen, um sich für unsere Gesellschaft einzusetzen und Dinge umzusetzen und zu verändern. Interessant finde ich es auf jeden Fall, aber ich sehe mich da gerade nicht.
Und wie blicken Sie im Moment so auf das Geschehen sowohl in Deutschland wie in der Welt? Macht Ihnen das Sorgen?
Mihambo: Ich schaue mit vielen Bedenken auf die aktuelle Situation. Natürlich weltweit, aber auch, was zum Beispiel den Rechtsruck in allen westlichen Industriestaaten angeht. Das finde ich sehr bedenklich. In Deutschland und in Europa haben wir doch so viel dadurch gewonnen, dass wir uns entschlossen haben, in Frieden miteinander eine Wertegemeinschaft zu gründen. Deshalb finde ich es schwierig, wenn es wieder solche Tendenzen gibt, dass man wieder zu verschlosseneren Gesellschaften kommen will. Ich bin natürlich auch als Person mit Migrationshintergrund doch mehr betroffen als andere. Aber letztlich, das zeigen die Schlagzeilen der letzten Monate immer wieder, ist es wichtig, sich für Demokratie einzusetzen. Demokratie kann nur leben, wenn sie von toleranten und offenen Menschen gestützt wird und bei Intoleranz eine Grenze zu ziehen ist, die auch nicht überschritten werden darf. Es ist an der Zeit, uns das bewusstzumachen, dass die Mehrheit auch laut wird, man auf die Straßen geht und sich für demokratische Werte einsetzt.
Geht Malaika Mihambo am 9. Juni wählen?
Mihambo: Definitiv, und zwar natürlich mit Briefwahl, weil ich dann schon in Rom sein werde bei der EM. Aber das lasse ich mir natürlich nicht nehmen.
Sie haben sich in den vergangenen Jahren immer mal wieder nach dem Wettkampfstress eine Auszeit genommen und sind gereist. Gibt es für dieses Jahr schon einen Plan, ein Ziel, mit dem Sie sich gerne belohnen würden.
Mihambo: Ich habe dieses Jahr noch gar keinen Urlaub geplant. Ich werde das relativ spontan machen. Ich muss mal sehen, wie sich das alles entwickelt. Aber bis jetzt ist noch keine große Reise geplant und auch keine kleine.
Gibt es ein Ziel für Olympia in Form einer Platzierung?
Mihambo: Mein Ziel ist immer, mein Bestes zu geben, mich darauf zu konzentrieren, wie ich mein Potenzial voll entfalten kann, wie ich mich bestmöglich auf meinen Wettkampf vorbereiten kann, physisch wie natürlich auch mental. Am Wettkampftag selbst ist eben diese Stärke, wie ich all das aus mir ziehen kann, wie ich mich mental in den optimalen Zustand bringe, um einen weiten Satz zu machen, entscheidend. Erst im zweiten Schritt schaue ich dann, wofür es gereicht hat.
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