Essay

Wir führen Krieg gegen Fische und gewinnen

Von 
Stefan Kern
Lesedauer: 
Krieg gegen Fische. © SZ-Grafik

Region. Der Anblick von Fisch-Fachgeschäften hat für Pele (Name von der Redaktion geändert) etwas Quälendes. Fast jeden Fisch in der Auslage erkennt er, weiß wie er heißt und wo er wahrscheinlich gefangen wurde. Eigentlich ist Pele, der heute in Deutschland lebt, in fünfter Generation Fischer und nichts machte ihn glücklicher, als auf seinem kleinen Boot vor der westafrikanischen Küste zu fischen. „Ein Netz voller Fische aus dem Meer zu ziehen und nach Hause zu bringen ist ein schönes und gutes Gefühl.“ Ein anderes Leben erschien ihm lange Zeit unvorstellbar. Seine Erzählungen erinnern den Zuhörer rasch an die Novelle Hemingways „Der alte Mann und das Meer“. Genau wie für den alten Mann in der Geschichte, war das Meer für den Fischer aus dem Senegal Mittelpunkt von so ziemlich allem, im Guten wie im Schlechten. Doch leider lebt Pele nicht wie der alte Mann in den 50ern, sondern ein halbes Jahrhundert später. Und hier hatte seine Mitte, sein Leben auf, mit und vom Meer keine Chance. In der Welt der 2000er geriet Pele in eine verhängnisvolle Spirale von immer besser ausgestatteten Fischfangflotten mit Sonar-, Echolot- und Satellitensuche, mit Verarbeitungsmaschinerie im Fabrikschiff, übermächtigen Interessensvertretern aus Europa, China und den USA, korrupten afrikanischen Politikern und einem anscheinend unstillbaren Hunger nach Fisch.

Es war Ende der 90er Jahre, als die Fangerträge zu sinken begannen und die Aussichten für Pele, seine Familie sicher ernähren zu können, langsam düsterer wurden. Anfangs hieß das für die Fischer in ihren kleinen Booten, einfach weiter rausfahren. Was früher in fünf bis sechs Stunden gelang, nahm jetzt schon mal zwei Tage in Anspruch. Zu Beginn ging Pele noch von Schwankungen aus, die immer mal wieder vorkamen. Nach dem dritten Jahr war jedoch klar, dass sich etwas Grundlegendes geändert hatte. Und so klar die Analyse, immer weniger und kleinere Fische, so unklar war ihm zu Beginn die Ursache dieser Entwicklung. Die Sache mit dem immer weniger und immer kleiner nahm ihren Anfang nämlich Jahre vorher in den europäischen Gewässern. Hier gingen die Fischer seit Langem sehr effizient auf die Jagd, um dem wachsenden Bedarf nach Fisch gerecht zu werden. Seit den 60er Jahren, so Schätzungen, habe sich der Verzehr von zehn Kilogramm pro Kopf auf mittlerweile 20 Kilogramm pro Kopf verdoppelt. Deutschland liegt mit 14 Kilogramm pro Kopf etwas unter dem weltweiten Durchschnitt.

Krieg gegen Fische: EU ist zweitgrößte Fischereimacht der Welt

Die EU als Ganzes gilt übrigens nach China als zweitgrößte Fischereimacht der Welt. Daher verwundert es nicht weiter, dass die europäischen Fischbestände inzwischen in weiten Teilen als erschöpft gelten. Für europäische Politiker, die den industriellen Fang mittels Fabrikschiffen und Hightechtrawlern in den vergangenen Jahrzehnten mit mehreren Hundert Millionen Euro unterstützten, war klar, dass angesichts der schwindenden Ressource Fisch in den europäischen Gewässern, die Zukunft der europäischen Fischindustrie in den außereuropäischen Ozeanen liegt. Nur noch 40 Prozent des in der EU konsumierten Fisches stammt aus EU-Gewässern. Rund 60 Prozent werden importiert. Wobei diese Quote in Deutschland noch deutlicher ausfällt. Hier werden laut Fischinformationszentrum 89 Prozent der Fische importiert.

Mehr zum Thema

Essay

Krieg der Maschinen - eine Drohne als Waffe

Veröffentlicht
Von
Stefan Kern
Mehr erfahren
Essay

Du und Sie: Vom Irrgarten hinter fünf Buchstaben

Veröffentlicht
Von
Stefan Kern
Mehr erfahren
Essay

Warum wir keine Angst vor dem Tod haben sollen

Veröffentlicht
Von
Stefan Kern
Mehr erfahren

Eine dieser Regionen, in denen die europäische Fangflotte gemeinsam mit Schiffen aus Russland und Asien auf die Jagd nach Fisch gingen, ist die westafrikanische Küste. Ein Meeresstreifen, wo heiße Wüstenwinde auf eine kalte und nährstoffreiche Tiefenströmung stoßen und es früher Fische wie Sand am Meer gab. Die rund 600 000 Fischerfamilien allein im Senegal hätten sich ohne die Ausländer jedenfalls nie Sorgen machen müssen, so Karoline Schacht, Fischereiexpertin beim WWF. Doch mit der Konkurrenz aus Europa, Asien und den USA gerieten die Fischbestände auch hier enorm unter Druck.

Krieg gegen Fische: 92 Prozent der Fischbestände überfischt

Seit 1990 sind, laut der Welternährungsorganisation FAO, die Bestände vor der gesamten westafrikanischen Küste um 70 Prozent zurückgegangen. Weltweit gelten nach dem jüngsten UN-Weltfischereireport 92 Prozent der Fischbestände als überfischt oder bis an die Grenze ausgebeutet. Und der UN-Bericht lässt keinen Zweifel daran, wohin diese Reise gehen wird, wenn nicht schnell gegengesteuert und die Fangquoten gerade für die industrialisierten Länder massiv zusammengestrichen werden. Bis Mitte des Jahrhunderts, so die dunkelsten Prognosen, werden die Fischbestände weltweit kollabieren. Bei dem für Sushi so beliebten Thunfisch sind diese Bestände bereits jetzt um 90 Prozent geschrumpft. Sehr drastisch fasst der Meeresbiologe Daniel Pauly von der British Columbia University die Fischereipolitik des Westens zusammen. „Wir führen Krieg gegen die Fische, und wir gewinnen ihn.“

Mehr zum Thema

Essay

Die Lüge ist wichtig

Veröffentlicht
Von
Stefan Kern
Mehr erfahren
Essay

Das Internet braucht enorm viel Energie

Veröffentlicht
Von
Stefan Kern
Mehr erfahren
Essay

Ein Meer aus Plastik

Veröffentlicht
Von
Stefan Kern
Mehr erfahren

Und das hat katastrophale Konsequenzen für die mehr als eine Milliarde Menschen, die schon heute vom Fisch als primärer Eiweißquelle abhängig sind. Allein an der Westküste Afrikas sind Millionen von Fischerfamilien in ihrer Existenz bedroht. Und bedroht heißt hier nicht, allein den Job zu verlieren. Bedroht heißt zwischen Sierra Leone und Mauretanien vollkommener Verlust der Existenzbasis. Kein Sozialstaat und keine Lobby mildern die Auswirkungen des Zusammenbruchs der Fischbestände. Die afrikanischen Fischer können ihre Familien nicht mehr ernähren und das Schulgeld für ihre Kinder nicht mehr bezahlen. Die Zahlungen für die Fischlizenzen, welche die EU an Länder wie den Senegal oder Mauretanien leistet, decken dabei weder den Wert des gefangenen Fisches noch kommen sie den betroffenen Fischern zugute. An Mauretanien zahlt die EU für die rund 300 000 Tonnen Fisch, die vor der Küste gefangen werden, jährlich knapp 60 Millionen Euro. Gigantisch unter Fangwert, der nach verschiedenen Schätzungen im Rahmen der gesamten Wertschöpfungskette eher bei 1,5 Milliarden Euro liegt. Am Ende haben die Fischer jedenfalls weder Geld in der Tasche noch Fische im Netz.

Krieg gegen Fische: Somalia und die Piraterie

„Die einzige Existenzalternative, die den Menschen noch bleibt, ist die Flucht“, so die WWF-Fischereiexpertin. Als weitere Option gilt unter Experten auch der Weg in die Kriminalität, sprich Piraterie oder Menschenhandel. Gerade in Somalia mit seinen traditionell reichen Fischgründen verloren die Fischer mit dem Zusammenbrechen aller staatlichen Strukturen 1991 erst die Hoheit über ihre Küstengewässer und dann ihre Fische. Fast 1000 Boote, so Schätzungen der FAO, gingen vor der somalischen Küste auf die Jagd und plünderten das Meer. Dass bewaffnete somalische Fischer dazu übergingen, von fremden Fischtrawlern Zölle zu verlangen, erscheint angesichts dessen nicht mehr völlig abwegig. Eine Idee war geboren und eine schlimme Geschichte nahm ihren Lauf.

Mehr zum Thema

Essay

Tourismus: Eine Gefahr für sich selbst

Veröffentlicht
Von
Stefan Kern
Mehr erfahren
Essay

Was immer weniger Wasser mit der Menschheit macht

Veröffentlicht
Von
Stefan Kern
Mehr erfahren
Sommer-Essays

Der Kompromiss: die größte Errungenschaft der Menschheitsgeschichte

Veröffentlicht
Von
Stefan Kern
Mehr erfahren

Verschiedene Studien gehen mittlerweile davon aus, dass zwischen 50 und 70 Prozent aller Flüchtlinge aus Westafrika Fischer ohne Perspektive sind. Flüchtlinge, für die Europa mitverantwortlich ist, die bisher aber als Wirtschaftsflüchtlinge umgehend wieder ausgewiesen werden. Das Europäische Parlament erkannte im Falle Senegals an, dass der Niedergang der lokalen Fischereiindustrie eine der wichtigsten Ursachen der Auswanderung darstellt und hat die Kommission dazu aufgefordert, ihre Fischereipolitik zu ändern. Bisher ohne allzu große Resonanz. Noch heute, so Heike Vesper vom WWF, übersteigen die Fangquoten die wissenschaftlichen Empfehlungen deutlich.

Krieg der Fische: Beifang in Fischindustrie ein Problem

Verschärfend kommt dann noch das Beifang-Problem hinzu. Jedes Jahr holt die globale Fischindustrie etwas mehr als 90 Millionen Tonnen Meerestiere aus den Ozeanen. Dazu kommen dank unsinniger Fischereigesetze und veralteten Fangtechniken viele Millionen Tonnen Beifang hinzu. Der WWF und die FAO gehen davon aus, dass rund ein Drittel des Fangs, also 30 Millionen Tonnen, umgehend tot wieder über Bord gekippt wird. Darunter jedes Jahr 200 Millionen Haie und 300 000 Wale und Delphine. Die Bilanz zwischen dem Fisch in der Fischtheke und dem Fisch, der zufällig ins Netz geriet, ist verheerend. Für ein Kilogramm Seezunge sterben rund sechs Kilogramm Meerestiere. Noch dramatischer ist das Verhältnis bei der Shrimp-Fischerei. Bis zu 20 Kilogramm Beifang verzeichneten die Forscher für ein Kilogramm gefangene Shrimps.

Mehr zum Thema

Essay

Wie der Verzicht auf Fleisch einen natürlichen Kreislauf zerstört

Veröffentlicht
Von
Stefan Kern
Mehr erfahren
Essay

Sackgasse Elektromobilität

Veröffentlicht
Von
Stefan Kern
Mehr erfahren
Essay

Das Netz des Lebens reißt

Veröffentlicht
Von
Stefan Kern
Mehr erfahren

Bisher kaum für Entlastung sorgten die viel gepriesenen Aquakulturen mit ihren Zuchtfischen. Die fleischfressenden Zuchtfische benötigen schon jetzt gut 50 Prozent des weltweit hergestellten Fischmehls und 80 Prozent des Fischöls. So braucht es beispielsweise auf den Blauflossen-Thunfischfarmen bis zu 20 Kilogramm Meerestiere, um ein Kilogramm Sushi-Fleisch zu gewinnen. „Aquakulturen sind nur dann eine Lösung, wenn sichergestellt ist, dass die Zuchtfische nicht mit gefangenem Seefisch gefüttert werden“, so Peter Herzig vom Leibniz Institut für Meereswissenschaften an der Universität Kiel. Ungelöst sind bisher auch die Probleme rund um den massiven Einsatz von Antibiotika und Chemikalien, um die Fische gesund und die Käfige sauber zu halten.

Lösungsansätze gibt es viele. Am Ende drehen sie sich aber alle um das Weniger. Der WWF und Greenpeace veröffentlichen Einkaufsberater, anhand derer der Käufer zwischen bedrohten und nicht bedrohten Arten unterscheiden kann. Auch das MSC-Siegel des „Maritim Stewardship Council“ versucht Bewusstsein für eine nachhaltige Fischerei zu schaffen und damit das Käuferverhalten zu lenken. Doch ohne Verzicht, da sind sich alle Experten einig, wird es nicht gehen. Dem weltweit wachsenden Bedarf nach Fisch können die Ozeane nicht gerecht werden.

Freier Autor Stefan Kern ist ein freier Mitarbeiter der Schwetzinger Zeitung.

Thema : Phänomene unserer Zeit

  • Ansichtssache Faszination Sterne: Von einer Lebensrealität jenseits der Wissenschaft

    Professor Dr. Reinhold Bertrand ist Leiter des „Research and Technology Management Office" bei der Europäischen Raumfahrtbehörde. Wir sprechen mit dem Schwetzinger über Wissenschaft, Religion und außerirdisches Leben.

    Mehr erfahren
  • Essay Immer mehr invasive Arten bergen immer mehr Gefahren

    Tigermücke, Kaliko-Krebs, Laubholzkäfer – die neuen Bewohner in unserer  Atmosphäre, den Wäldern und Gewässern machen den Klimawandel  mehr als nur deutlich. Und sie bergen mehr Gefahren, als uns lieb sein können.

    Mehr erfahren
  • Essay Du und Sie: Vom Irrgarten hinter fünf Buchstaben

    Es ist ein Dschungel. Zwei Wörter, einmal drei und einmal zwei Buchstaben. Aber dahinter verbirgt sich ein hochkomplexes Geflecht aus Geschichte, Macht, Respekt, Vertrauen, Nähe, Distanz und Höflichkeit.

    Mehr erfahren

Copyright © 2025 Schwetzinger Zeitung