Landgericht Heidelberg

Angriff in Eppelheim: Angeklagter muss in Psychiatrie bleiben

Im Prozess gegen einen 45-jährigen Ketscher wegen gefährlicher Körperverletzung werden über ein Dutzend Zeugen am dritten Verhandlungstag gehört.

Von 
Volker Widdrat
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Das Justizgebäude in Heidelberg. Hier wurde der Fall des 45-jährigen Mannes aus Ketsch verhandelt. © dpa

Eppelheim/Heidelberg/Ketsch. Der 45-jährige Ketscher, dem die Staatsanwaltschaft versuchten Totschlag in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung gegen einen 67-jährigen Eppelheimer vorgeworfen hatte, muss in der Psychiatrie bleiben. Die Strafkammer des Landgerichts Heidelberg ordnete die weitere Unterbringung im Maßregelvollzug an. Das Schwurgericht unter dem Vorsitzenden Richter Jochen Herkle bewertete die Tat am 6. Juni dieses Jahres wie im Antrag der Staatsanwaltschaft auf ein Sicherungsverfahren beschrieben.

In einer umfangreichen Beweisaufnahme hörte das Gericht am dritten Verhandlungstag über ein Dutzend Zeugen. Das Opfer der mit einem Teleskopschlagstock ausgeführten Attacke schilderte die dramatischen Ereignisse in der Handelsstraße. Der 45-Jährige, wie der Geschädigte Mitglied der islamischen Ahmadiyya-Gemeinschaft, habe ihn „übel beschimpft und zweimal auf den Kopf geschlagen“. Der Rentner war mit seiner Frau, eine Cousine der Mutter des Beschuldigten, zunächst vom Wohnzimmer ins Schlafzimmer geflüchtet. Die alarmierte Polizei traf die beiden Männer dann im Garten des Hauses an.

„Er hat unsere Kultur beleidigt“, sagte der Geschädigte, dessen Bruder der Privatsekretär des weltweiten Oberhauptes der Ahmadiyya in London ist. Er habe den Angeklagten nur selten gesehen, da sei er immer sehr freundlich aufgetreten. Auf Nachfrage des Gerichts bestätigte der 67-Jährige, dass die islamische Religionsgemeinschaft vor über 20 Jahren eine Heirat des Beschuldigten nicht genehmigt habe. Seine Wunden seien verheilt, die psychischen Beeinträchtigungen aber geblieben, meinte er. Das erklärte auch die 57-jährige Ehefrau. Sie habe den Angreifer erkannt, erschrecke heute noch bei jedem Geräusch: „Ich habe ihn gebeten, meinem Mann nichts zu tun.“ Sie habe die Probleme des Mannes mit der Ahmadiyya damals auch mitbekommen.

Eintreffen der Polizei in Eppelheim: Täter war „komplett gepanzert“

Der Vorsitzende verlas das Vernehmungsprotokoll eines 36-jährigen Ketschers, der vor der Bluttat mit dem Beschuldigten im Fitnessstudio gewesen war. Nach zehn Minuten habe er sich schon verabschiedet: „Er würde sich jetzt rächen gehen, morgen würde alles in der Zeitung stehen.“ Gemeinsam mit einem Freund habe er sich auf die Suche nach ihm gemacht. Doch die beiden Männer seien zu spät gekommen: „Dann rief sein Vater an, dass er etwas Schlimmes getan hat.“

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Im Protokoll heißt es weiter: „Die Eltern seiner Frau mochten ihn nicht. Er ist eigentlich ein intelligenter Mensch, der viel Pech gehabt hat. Unsere Religion ist sehr streng. Er wirkte zeitweise wie ein Dämon.“ Die ersten Polizisten trafen am Tatort auf eine unübersichtliche Situation und eine blutüberströmte Person, die von einem „komplett gepanzerten“ Mann mit einem Teleskopschlagstock verfolgt wurde.

Der Beschuldigte habe auf die Androhung von Schusswaffengewalt reagiert, sagte ein 48-jähriger Polizeibeamter. Es sei eine Frage von Sekunden gewesen: „Wir hätten dann schießen müssen.“ Ein Interventionsteam habe im Haus nach weiteren Tätern gesucht. „Gegen euch habe ich nichts“, hatte der Beschuldigte den Beamten gesagt und bei seiner Festnahme von Psychiatrie und Suizidversuchen erzählt. Der Mann habe viel geredet, er habe „jemanden bestrafen wollen“, berichtete ein 23-jähriger Beamter. Die Polizei habe ihn zu früh festgenommen, eigentlich habe er noch zur Moschee gehen wollen, um andere Personen der Ahmadiyya zu verletzen, habe er unter anderem geäußert.

Schläge auf den Kopf in Eppelheim hätten "grundsätzlich lebensgefährlich sein können"

Rechtsmedizinerin Dr. Katharina Feld schilderte dem Gericht die Verletzungen. Der 67-Jährige habe zwei Kopfplatzwunden erlitten, aber keine inneren Blutungen, außerdem Hämatome. Die Verletzungen zeugten von stumpfer Gewalteinwirkung. Die Schläge mit dem Teleskopschlagstock hätten bei größerer Wucht „grundsätzlich lebensgefährlich sein können“. Eine konkrete Lebensgefahr habe aber nicht bestanden, so die Fachärztin.

Ein 36-jähriger Kriminalbeamter machte Angaben zur Wohnungsdurchsuchung des Beschuldigten in Ketsch. In dem Einzimmerappartement seien Medikamente und ärztliche Unterlagen sichergestellt worden. Ein 40-jähriger Kriminaltechniker zeigte Bilder vom Tatort. Überall waren Blutspuren, auf den Steinfliesen, auf dem Boden im Wohnzimmer und an der Schlafzimmertür.

Die einzelnen Teile der Schutzausrüstung, wie Protektoren, Spikes für Schuhe, Schienbeinschoner und Gelenkbandagen, lagen auf dem Rasen verstreut. Auf der Terrasse war ein Glastisch zerstört, die Schiebetür zeigte Beschädigungen, die wie Einschusslöcher aussahen. Der Boden war voll mit Scherben. In einer Sporttasche lagen zwei Golfbälle, ein Zahnschutz, eine kleine Whiskyflasche und ein Cricket-Ball.

Der psychiatrische Gutachter schilderte die Krankheitsgeschichte des Angeklagten. In einer religiös geprägten Erziehung habe der gebürtige Pakistaner auch körperliche Gewalt durch den Vater erfahren. Nach der Trennung von seiner Frau seien bei ihm die ersten depressiven Symptome aufgetreten, schließlich sei es zum „fulminanten Ausbruch“ einer schweren depressiven Krankheit gekommen, die eine Behandlung mit Medikamenten notwendig gemacht hätte.

Gutachter im Prozess gegen den Ketscher: Unterbringung möglich

Der 45-Jährige zeige eine eingeschränkte psychische Belastbarkeit. Er mache die Glaubensgemeinschaft und hier vor allem den Geschädigten für seine psychosoziale Entwicklung verantwortlich. Zum Zeitpunkt der Tat habe eine schizoaffektive Störung vorgelegen, den systematisierten Wahn, der schließlich handlungsleitend geworden sei, habe der Beschuldigte schon vor langer Zeit entwickelt.

Die Voraussetzungen zur Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus seien gegeben, empfahl der Facharzt eine medikamentöse Umstellung. Sonst könne der verfestigte Wahn in seinen Denkstrukturen fortbestehen und sich so eine Tat wiederholen. Die Behandlungseinsicht gehe bei ihm nur so weit, „bis das Leiden an den Nebenwirkungen der Medikamente nicht zunimmt“.

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Aus Sicht von Oberstaatsanwalt Dr. Lars-Jörgen Geburtig sei dem Angeklagten klar gewesen, was er anrichten könnte. Es sei tateinheitlich versuchter Totschlag, aber in schuldunfähigem Zustand. Es gebe im Moment keine andere Chance als die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus, die zunächst nicht zur Bewährung ausgesetzt werden könne.

Nebenkläger-Vertreter Dr. Bohn schloss sich an. Der Beschuldigte habe billigend in Kauf genommen, sein Opfer töten zu können. Entscheidend sei der Moment der geplanten Tat gewesen, wovon er auch nicht strafbefreiend zurückgetreten sei. Sein Mandant lebe wegen der Attacke heute noch in diffuser Angst.

Polizei hat bei Tat in Eppelheim wohl Schlimmeres verhindert

Verteidiger Jens Klein sah im Wahnerleben seines Mandanten auch einen wahren Kern. Die Glaubensgemeinschaft habe ihm das Heiraten verboten. Er habe den Geschädigten dafür bestrafen wollen. „Es tut mir leid, es kommt nie wieder vor, ich setze keine Medikamente mehr ab und bin für jede Hilfe dankbar“, sagte der 45-Jährige in seinem letzten Wort. Der Verurteilte muss die Kosten des Verfahrens und die Auslagen des Nebenklägers tragen, verfügte die Kammer.

Mit dem Teleskopschlagstock auf den Kopf habe er ein gefährliches Werkzeug gegen einen sensiblen Körperbereich eingesetzt, führte der Vorsitzende Richter Jochen Herkle aus. Die Polizei habe wohl Schlimmeres verhindert, weil der Beschuldigte noch mit anderen Angriffswerkzeugen ausgerüstet gewesen sei.

Er habe sich auf ein dynamisches Tatgeschehen vorbereitet. In strafrechtlicher Hinsicht könne er nicht verantwortlich sein, weil er schuldunfähig und mit aufgehobener Steuerungsfähigkeit gehandelt habe. Dass die Ahmadiyya-Gemeinschaft ihm die Heirat aus Liebe zu einer Frau versagt habe, habe sich bei ihm tief eingegraben: „Er hat gemeint, sich gegen die Funktionsträger der Gemeinde zur Wehr setzen zu müssen.“ Er sei dabei in einer akuten Krankheitsphase gewesen. Das Absetzen der Medikamente und der Cannabiskonsum hätten dafür gesorgt, dass es keine Hemmnisse gegen den „einschießenden Handlungsimpuls“ mehr gegeben habe.

Für die rechtswidrige Handlung im Zustand aufgehobener Steuerungsfähigkeit müsse die Kammer die Unterbringung anordnen. Der 45-Jährige bleibe für die Allgemeinheit zu gefährlich, bei einem Leben in Freiheit könnten erhebliche Straftaten drohen, erklärte der Vorsitzende. Bei der Unterbringung im Maßregelvollzug könnte über eine Optimierung der Medikamente nachgedacht werden, dann sei vielleicht auch mal eine Bewährung möglich. Das Urteil ist rechtskräftig.

Freier Autor Volker Widdrat ist freier Mitarbeiter.

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