Eppelheim/Heidelberg/Ketsch. Vor der Strafkammer des Landgerichts Heidelberg wurde am Dienstag das Sicherungsverfahren gegen einen 45-jährigen Ketscher fortgesetzt, dem die Staatsanwaltschaft versuchten Totschlag in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung vorwirft (wir berichteten). Das Schwurgericht unter Vorsitz von Richter Jochen Herkle muss entscheiden, ob der Mann dauerhaft in der Psychiatrie untergebracht wird. Der mutmaßlich an einer schizoaffektiven Störung leidende Beschuldigte soll am 6. Juni in Eppelheim einen Mann angegriffen haben, der wie er Mitglied der islamischen Ahmadiyya-Gemeinschaft ist. Am zweiten Verhandlungstag schilderte der gebürtige Pakistaner in einer zweistündigen Vernehmung seinen persönlichen Werdegang und nahm ausführlich zum Tatvorwurf Stellung.
Der Vater einer 21-jährigen Tochter wurde in Lahore in der pakistanischen Provinz Punjab geboren. Dort besuchte er die Schule, bis er als Zwölfjähriger mit seinen Eltern und zwei Geschwistern nach Deutschland kam. Nach der Förder- und Hauptschule versuchte er sich an einer Wirtschaftsschule in Heidelberg – ohne Erfolg. Während der Schulzeit lernte er eine junge Frau kennen, die zwangsverheiratet werden sollte. Sie habe aber lieber ihn wollen, erzählt der 45-Jährige, deshalb habe er sie „aus Liebe nach deutschem Recht geheiratet“.
Danach zog das Paar in den Raum Stuttgart um. Das habe Probleme mit der Ahmadiyya gegeben. Die Religionsgemeinschaft habe ihn ausgeschlossen. Spannungen mit der Familie seiner Frau hätten schließlich zur Trennung geführt. Es folgte ein Umzug nach Rüsselsheim, um näher bei der Tochter sein zu können, dann die Scheidung und schließlich zog er zu seinen Eltern nach Ketsch.
Mehrfach in der Psychiatrie
Um 2007 sei bei ihm paranoide Schizophrenie festgestellt worden. Er habe unter Verfolgungswahn gelitten und „gemerkt, dass ich nichts auf die Reihe kriege“. Nach einem ersten Suizidversuch kam es zum stationären Aufenthalt in der Psychiatrie. Er habe die Medikamente abgesetzt, nach einem weiteren Suizidversuch sei er „wieder in Wiesloch gelandet“. Er habe verschiedene Arbeitsstellen gehabt, unter anderem in Schwetzingen und Heilbronn: „Aber nichts hat geklappt.“ Seit 2019 sei er verrentet. Er habe seinen Eltern im Haushalt geholfen und ab und zu Sport gemacht. Er habe Entschuldigungsbriefe geschrieben und sei wieder in die Religionsgemeinschaft aufgenommen worden: „Alle haben sich gegen mich verschworen. Es wurde Druck ausgeübt.“ Er trinke keinen Alkohol, zeitweise habe er Cannabis konsumiert.
Der 45-Jährige beantwortete geduldig alle Fragen des Gerichts und von Oberstaatsanwalt Dr. Geburtig, Psychiater Dr. Tabakhtory-Fard und Nebenkläger-Vertreter Dr. Bohn. Er habe einige Mitglieder der Ahmadiyya im Blick gehabt, vor allem ein bestimmtes Gremium, „das mich beeinflusst hat“. Der Geschädigte ist sein Onkel. Er sei von ihm „streng behandelt und diskriminiert“ worden. Den Teleskopschlagstock, den er bei der Attacke neben einem Nunchaku, einem Klappmesser und Pfefferspray dabeigehabt hatte, soll er sich bereits 2006 beschafft haben.
Am Tattag hatte er sich Protektoren, Helm und Knieschützer gekauft und die Schutzkleidung auf dem Eppelheimer Friedhof bei den muslimischen Gräbern übergezogen. Dann sei er über den Garten ins Haus des Geschädigten eingedrungen. „Ich wollte ihm das Schlüsselbein brechen.“ Vor über 20 Jahren habe sich sein Vater bei einer Auseinandersetzung mit ihm auch die Schulter gebrochen. Seiner Tante habe er nichts tun wollen: „Nur ihm, er sollte zugeben, dass er hinter dem Ganzen steckt. Ich bin davon ausgegangen, dass er mein Leben ruiniert.“ An jenem Tag wollte er noch andere zur Rede stellen: „Ich bin für die Ahmadiyya, aber nicht so gläubig, sie haben mich deshalb als Verlierer, Abtrünniger und Verräter beleidigt.“ Er habe nicht mal zur Hochzeit seiner Schwester kommen dürfen, erzählt er dem Gericht.
Die Strafkammer nahm eine Bodycam-Aufzeichnung der Polizei von der Festnahme in Augenschein. Die Aufnahme zeigt den Beschuldigten, der unter aufgehobener Schuldfähigkeit gehandelt haben soll, gefesselt auf dem Rasen sitzend. Die eingeschlagene Scheibe der Terrassentür ist zu sehen, davor der Teles-kopschlagstock auf dem Boden.
Der Beschuldigte schreit teils in der pakistanischen Nationalsprache Urdu, aber meistens auf Deutsch: „Ich wollte ihn nicht töten, nur zusammenschlagen, weil die mein Leben zerstört haben.“ Den Polizeibeamten erklärt er, dass er schon mehrmals in der Psychiatrie gewesen sei. Die Ahmadiyya beschimpft er unter anderem als „Heuchlerbande“.
Das Sicherungsverfahren wird an diesem Mittwoch, 20. Dezember, um 9 Uhr am Landgericht fortgesetzt. Die Kammer hört dann mehrere Zeugen sowie das Gutachten der Rechtsmedizin und den Psychiatrie-Sachverständigen.
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