Hockenheim. Seine Wegbegleiter sind mit ihm gereift, sie sind nicht nur grauer, sondern auch weniger geworden – und das aktuelle Programm des Kabarettisten, Autors und Satirikers Arnulf Rating war wie ein Spiegel: Der „Tagesschauer“ in einer Welt, in der die Jungen kaum mehr wissen, was die ARD überhaupt ist und in der generationenübergreifend die Generaldebilmachung mal Täter, mal Opfer findet.
Das Be-In, das am vergangenen Freitagabend im Hockenheimer Kulturzentrum „Pumpwerk“ alte Kommunen-Veteranen auf der Bühne wie im Publikum zusammengetrommelt hat, war gewohnt scharfzüngig, von atemloser Schlagzahl und gespickt mit den genialen Wortspielen eines ungebrochen großen Geistes, dem allerdings mangels notwendiger Bildung zunehmend der Nachwuchs flöten geht – obwohl es Bedrängungskünstler wie ihn gerade in Zeiten wie diesen dringend bräuchte.
Hochdekorierter Kabarettist in Hockenheim
Der hochdekorierte Rating, der schon Ende der 1970er Jahre mit den „3 Tornados“ die Bühnen der Republik unsicher und mit seinen oft unvermittelten, harten Seitenhieben auch die Zuhörer verblüffend betroffen machte, verfolgt – nach kurzen Ausflügen in eine eher mindererfolgreiche Comedy-Färbung – beharrlich sein Ziel, das Volk aufzurütteln und sich dem zunehmenden geistigen Verfall entgegenzustemmen.
Für seine hochintellektuellen eigenen Programme, für den „Politischen Aschermittwoch“, den er seit vielen Jahren mit hochkarätigen Kolleginnen und Kollegen abfeuert und für sein Lebenswerk hat der Clownsfrisurenträger mit dem wachen Verstand schon zwei Deutsche Kleinkunstpreise, den Deutschen Kabarettpreis und zuletzt den Bayerischen Kabarettpreis abgeräumt. Auch heuer war kaum ein Thema, kein Politiker, aber auch nicht der Zuschauer, vor Arnulf Ratings Verbalsalven sicher, die nie ihr Ziel verfehlen.
Zwar wirkt sein Zappen durch Zeitungsschlagzeilen statt durch „asoziale Medien“ ein wenig anachronistisch, sein atemberaubender Beat an powergepointeten Themen im TikTok-Zeitalter fast gemächlich, seinem Publikum aber beschert er den bekannten Schauer irgendwo zwischen Unterhaltung und Empörung, zwischen Genie, Aufruhr und Buße – geistig anstrengend, hochintellektuell und desillusionierend.
Zwischen Krieg und Katastrophen
Irgendwo an der „Heimatfront zwischen Krieg und Katastrophen und den Schauernachrichten in der Tagesschau“, gefangen in einer Gesellschaft, in der „42 Prozent nicht wissen, was Inflation ist, sich aber sofort dagegen impfen lassen“ würden, verfangen seine brillanten Gedanken durch Überraschungen, die sich aus einer nur scheinbaren Einfachheit nähren: „Man muss sich schon von der Seite im Spiegel anschauen, um die Problemzonen zu erkennen.“
Dabei ist der Rotschuhträger zu niemandem gnädig: Habeck kann nicht zurücktreten, weil er mit dem Rücken zur Wand steht, 200 Arten sterben am Tag aus – „aber der Merz hat überlebt und „warum lassen wir unsere Politik nicht von einer Künstlichen Intelligenz, sondern von der natürlichen Dummheit von Annalena Baerbock machen?“ – „Es gibt nicht nur Deppen – es gibt auch Vollpfosten“.
Ritt auf thematischer Mähre
In wildem Ritt schindet Rating jede thematische Mähre; Sozialpunktesystem, Zeitenwende, Bundeswehr, Naher Osten: „Wie kommt unser Öl unter deren Sand?“ Dabei kreiert er Lehrsätze, die man sich auch merken sollte, wenn man keine Poesiealben mehr befüllt: „Warum ein Haus besetzen, wenn man es auch besitzen kann?“, „Wenn Sie an die Künstliche Intelligenz glauben, sind Sie der Dumme“ und das semantische und sprachliche Highlight: „Wir haben eine Menge Intolerante, gerade unter toleranten Menschen“.
Nach rund zwei Stunden Programm im Pumpwerk feuert Arnulf Rating mit seiner letzten Salve ein Beispiel für seinen politischen Scharfsinn und seine gesellschaftskritische Bissigkeit, verpackt in nur scheinbar unverdächtige Themen: „Auch wenn die Ampel kaputt ist, gilt in Deutschland ,Rechts vor Links‘ – gute Nacht!“
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