Hockenheim. Die Geschwindigkeit ihrer Gründung macht ihrem Zweck alle Ehre: Die Bürgerinitiative „Meine Rennstadt“ trat nur wenige Tage nachdem die Bürgerinitiative für Lärmschutz und Lebensqualität in Hockenheim und Umgebung (BiLL) einen Auftritt im Gemeinderat angekündigt hatte, an die Öffentlichkeit. Die Mitglieder verfolgen das Ziel, den Hockenheimring zu schützen, zu fördern und als wichtigen Bestandteil der Gemeinschaft zu erhalten und wollten in der Gemeinderatssitzung ein Zeichen dafür setzen, dass die Rennstrecke wie bisher betrieben werden soll. Wie es zu der Blitzgründung kam und wie die Arbeit weitergehen soll, nachdem die BiLL am 7. September ihre Auflösung verkündet hat, erklärt Christopher Sass im Interview.
Sie waren so rasant präsent – hatte es die Idee zur Gründung der BI „Meine Rennstadt“ schon vorm Auftritt der BiLL gegeben?
Christopher Sass: Das war schon länger in unseren Köpfen, weil es auch in der Vergangenheit immer wieder Stimmen gegeben hatte, die fragten, wozu man den Hockenheimring brauche. So reifte die Überzeugung, dass man den Leuten erklären muss, was am Ring passiert, wie der Motorsport funktioniert und dass daran viele Arbeitsplätze hängen. Als die BiLL dazu aufrief, sich Gehör zu verschaffen, sahen wir den Zeitpunkt für gekommen, das auch zu tun.
Konnten Sie dazu spontan auf einen Kreis von Gründern zurückgreifen?
Sass: Wir waren zu fünft: Jörg Bensemann, Kay Zizmann, Steffen Wagner, meine Frau und ich, dazu auch meine Eltern.
Mit Jörg Bensemann gehört der Präsident des Badischen Motorsportclubs (BMC) zu den Gründern, Sie sind dort als Pressewart aktiv. Sie die beiden anderen Mitgründer auch BMCler?
Sass: Steffen Wagner ist nicht Mitglied beim BMC, Kay Zizmann ist zwar Mitglied, hat aber kein Amt. Kay Zizmann und wollten zunächst Leserbriefe schreiben, hatten uns bei den Nitrolympx noch darüber unterhalten. Als dann die BiLL an die Presse ging, war klar, dass wir mit unserer Aufklärungsarbeit nach dem Motto „Da passiert viel mehr“ starten müssen.
Was schließt dieses „Da passiert viel mehr, als man draußen mitkriegt“ ein?
Sass: Alles: Das beginnt damit, dass den wenigsten klar ist, dass nicht jedes Rennen von der Hockenheim-Ring GmbH selbst veranstaltet wird. Viele Menschen wissen nicht, dass der Deutsche Motor Sport Bund (DMSB) klare rechtliche Vorgaben macht, wer überhaupt Rennen veranstalten darf, nämlich Vereine. Hier geht es also nicht nur um den wirtschaftlichen Aspekt, sondern um die Kultur des Motorsports, die diese Vereine pflegen. Wir möchten aber auch darüber informieren, wie der Motorsport technisch funktioniert, die ganze Entwicklung der Technologieträger, von der Scheibenbremse über den Sicherheitsgurt bis zum Drei-Liter-Motor. Den hat man beim 24-Stunden-Rennen von Le Mans entwickelt, um die Autos leichter zu machen, wenn sie weniger Sprit mitnehmen müssen. Das reicht bis zur Elektromobilität: Hier werden im Motorsport Methoden entwickelt, wie man an ein verunfalltes Elektrofahrzeug herangeht – erst später geht das Verfahren in Serie.
Sie haben zum Motorsport eine große Affinität, die Sie auch ein Amt im BMC übernehmen ließ?
Sass: Ich bin seit 2018 Pressewart des BMC. Mitglied wurde ich bereits 2001 mit 16 Jahren, als ich mein erstes Rennen gefahren habe, noch über Harald Roth.
Wäre die „Aufklärung“, die Sie mit der BI „Meine Rennstadt“ anstreben, nicht auch über den BMC möglich gewesen, braucht es dazu eine Bürgerinitiative?
Sass: Wir wollen ja noch mehr Menschen ansprechen und uns öffnen für die Motorsportfreunde und Hockenheimer, die für den Ring sind, aber nicht gleich in einen Verein eintreten wollen, daher halten wir es etwas neutraler. Aber logischerweise hängt mein Herz an Hockenheim und am BMC. Als Bürgerinitiative sind wir auch etwas freier und können dynamischer agieren.
Über die sozialen Netzwerke hat die BI schnell sehr viele Menschen als Unterstützer gefunden. Wie sieht die Schnittmenge mit den BMC-Mitgliedern aus – haben Sie einen Überblick, wer die rund 2700 Follower sind?
Sass: Selbst wenn jedes BMC-Mitglied ein Follower der BI wäre, hätten wir immer noch 1600 Nichtmitglieder dabei. Unter den gut 1000 BMClern gibt es aber auch viele Ältere und solche, die im Ausland wohnen. Man kann also davon ausgehen, dass der Zuspruch von außerhalb des Clubs deutlich größer ist. Das liegt nicht am Desinteresse des BMC, sondern wie an anderen Vereinen am hohen Altersdurchschnitt und damit verbunden einem geringeren Zugang zu den sozialen Medien.
Ist es Ihr Anspruch herauszufinden, wer die BI-Follower sind – auch, ob es tatsächlich existierende Personen sind?
Sass: Diese Gewissheit gibt es nirgends, weder in der Industrie noch in der Politik. Wir haben ganz sicher nicht die Mittel und die Möglichkeiten, etwas zu manipulieren. Und wir kämen auch gar nicht auf die Idee dazu. Daher auch der Aufruf, am 27. September zur Stadthalle zu kommen. Wir sind überzeugt, dass das Interesse am Motorsport viel größer ist als in der Presse dargestellt. Andererseits sieht man, dass Lidl jetzt DTM-Karten verkauft und Porsche sich aus der Formel E zurückzieht und zur Formel 1 mit Verbrennern zurückkehrt. Für uns ist das ein erfreuliches Zeichen. Dass wir etwas für die Umwelt tun müssen, ist Fakt – aber vielleicht Schritt für Schritt.
Wie soll die Arbeit der BI „Meine Rennstadt“ nach dem Auftritt im Gemeinderat am kommenden Mittwoch weitergehen? Sie sagen ja, dass sie nach dem Rückzug der BiLL nicht zu Ende ist?
Sass: Wir wollen Aufklärungsarbeit betreiben. Ich könnte mir einen Infoabend in der Stadthalle vorstellen, um die Struktur des Rennsports zu erklären, die Organisation von der Spitze der Pyramide bis zur Basis der Vereine. Dort könnten Interessierte alle Fragen zum Sport und zur Rennstrecke stellen. Später könnte die BI auch als Bindeglied zwischen dem Hockenheimring und den Bürgern agieren, um zu vermitteln, was gerade los ist auf der Strecke, eventuell auch mit einem Rennkalender. Das setzt natürlich die Offenheit der Hockenheim-Ring GmbH voraus, aber so, wie ich die Herrschaften dort kenne, ist das überhaupt kein Problem. Wir würden auch gerne Ansprechpartner sein, wenn es Fragen oder Probleme gibt.
Sie würden also auch Kritik am Ring-Geschehen weitergeben?
Sass: Wir bedauern ja ausdrücklich, dass die BiLL ihre Arbeit eingestellt hat und distanzieren und in aller Deutlichkeit von den in sozialen Medien geäußerten Anfeindungen. Wir hätten uns gewünscht, in den Dialog mit der BiLL zu treten. Auch Kritiker am Lärm vom Ring gehören zu uns Hockenheimern.
Der Dialog hätte aber nicht dazu geführt, dass Sie einen Kompromiss zu Einschränkungen der Ring-Betriebszeiten angestrebt oder befürwortet hätten?
Sass: Genau, das muss ich ganz deutlich sagen. Ich hätte auch nichts dagegen, wenn mehr passieren würde. Darum setzen wir ja auf Aufklärung: Wenn es dem Ring gut geht, nutzt das auch der Stadt. Bei allem Respekt für Andersdenkende: Der Ring ist schon lange da und man kann ihn nun mal nicht versetzen.
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