Im Interview

Wie der Hockenheimer Fanfarenzug nach dem Zweiten Weltkrieg durch Europa reiste

Alfred Kupferschmid trat 1959 in den Verein ein. Mit dem Fanfarenzug marschierte er in München und Paris.  Nun spricht er über die 70-jährige Historie des Hockenheimer Fanfarenzugs und erinnert sich an die größten Auftritte.

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Jakob Roth
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Der Hockenheimer Fanfarenzug beim Münchner Oktoberfest 1969. © Jakob Roth

Hockenheim. Es gibt nur wenige, die den Fanfarenzug der Rennstadt Hockenheim so gut kennen, wie Alfred Kupferschmid. Denn er hat die Anfangszeit miterlebt: Im Jahr 1959, nur fünf Jahre nach der Gründung des Vereins, trat er ein und reiste mit der Gruppe zu großen Auftritten – zum Münchner Oktoberfest, nach Nancy und Paris. Kupferschmid ist ein Zeitzeuge. Er sah Dirigenten und Zugkameraden kommen und gehen und erinnert sich noch genau an die Zeit, als die Musiker zum ersten Mal das Notenlesen lernten. Der Wandel zum Blasorchester in moderner Besetzung stand bevor. Im Interview mit dieser Zeitung spricht Alfred Kupferschmid über Erfahrungen aus erster Hand. Erfahrungen aus einer siebzigjährigen Vereinsgeschichte.

Zwölf junge Männer haben 1954 den Hockenheimer Fanfarenzug gegründet – wie kam die Idee?

Alfred Kupferschmid: Im Spätsommer 1954 hatten ein paar junge Männer, zwölf an der Zahl, ein Sportfest in Mannheim besucht. Dort hat zufälligerweise ein Fanfarenzug gespielt. Angeregt von diesem Auftritt entstand der Gedanke, einen solchen Verein auch in Hockenheim zu gründen – was dann noch im selben Jahr passiert ist.

In alten Zeiten: Alfred Kupferschmid (v. l.), Jürgen Klemt, Hans Niedermayer und Willi Strifler in Worms. © Fanfarenzug

Der Zug konnte sich aber nicht selbst anleiten, oder?

Kupferschmid: Klar, es brauchte einen Dirigenten, der den Zug musikalisch leitet. Man konnte Georg Wacker gewinnen, der zuvor auch in der Stadtkapelle und in der Freiwilligen Feuerwehr Hockenheims aktiv war. Er war es, der den Gründungsmitgliedern beibrachte, mit den Fanfaren zu spielen und im Gleichschritt zu laufen. Das war die Anfangszeit. Noch ohne Uniform wurden die ersten Auftritte gespielt. Die Musiker spielten noch in schwarzer Hose und weißem Hemd.

Zunächst war die Besetzung eher klein – gab es überhaupt genug Mitglieder, um erste Auftritte zu stemmen?

Kupferschmid: Viele Musiker waren es am Anfang nicht, nein. Zwölf waren es, um genau zu sein. Dabei war der erste Auftritt bereits im Gründungsjahr. Und zwar bei der ersten Prunksitzung der Hockenheimer Carnevals-Gesellschaft (HCG), die sich auch 1954 gegründet hat.

Wie konnten denn anschließend mehr Menschen für den neuen Verein begeistert werden?

Kupferschmid: Mit Sicherheit waren die schönen Reisen mit dem Fanfarenzug verantwortlich dafür – das war schon etwas (schmunzelt). Zum Beispiel, als wir beim Mannheimer Fasnachtsumzug mitgelaufen sind oder 1955, als wir nur ein Jahr nach der Gründung, beim Oktoberfest gespielt haben – das war ein Riesenerfolg. Dafür wurde aber auch viel geprobt.

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Was sind die Fahrten, an die Sie am liebsten zurückdenken?

Kupferschmid: Am schönsten waren die Fahrten nach Frankreich. 1959 sind wir zum ersten Mal über die Grenze gefahren – das war schon ein großes Erlebnis. Später traten wir auch in Paris oder Montréjeau auf, ganz unten an der spanischen Grenze, zu Füßen der Pyrenäen. Dreißig Stunden haben wir uns für diese Fahrt in einen alten Bus gequetscht und uns auch dort umgezogen – das war schon anstrengend. Na ja, wir waren jung und hielten es aus (lacht). In Montréjeau haben sich Fanfarenzüge aus ganz Europa getroffen. Oft waren wir Hockenheimer die einzige Gruppe aus Deutschland.

Mit alten Bussen durch Europa zu fahren, war doch sicher nicht immer leicht . . .

Kupferschmid: Einmal sind wir nach Frankreich gefahren. Unsere Route führte über die Schweiz. Knapp hinter Basel ging uns dann der Bus kaputt – mitten in der Nacht. Glücklicherweise hatten wir Hans Niedermayer dabei, er war Automechaniker und kannte sich auch mit Bussen aus. Ohne ihn wären wir aufgeschmissen gewesen. Zum Auftritt kamen wir aber noch rechtzeitig. Das Lustige war: Später hat Hans einen Busführerschein gemacht und uns auch gefahren.

1954 war der Zweite Weltkrieg seit nur neun Jahre vorüber, an Reisen war für die meisten nicht zu denken, oder?

Kupferschmid: Ja, das stimmt. Das war ja auch für den normalen Bürger gar nicht möglich. Die Kriegszeit haben auch viel Mitglieder noch miterlebt, mit denen ich damals zusammengespielt habe.

Woher nahm der Fanfarenzug das Geld?

Kupferschmid: Zu dieser Zeit waren die Kommunen noch zahlungsfähig. Das ist heute nicht mehr der Fall. Kommunen oder Veranstalter sind damals auf uns zugekommen und haben Busfahrt, Unterkunft und Ähnliches gezahlt. Das gibt es heute leider nicht mehr. In der Anfangszeit war oft nicht genug Geld da. Zum Glück hatten wir immer die nötige Unterstützung.

Woebei habt ihr Unterstützung gebraucht?

Kupferschmid: Zum Beispiel beim Herstellen unserer ersten Uniformen in den farben Blau und Weiß. Da hat einer der Männer bei der Bank ein Darlehen für Stoffe und sonstige Materialien aufgenommen. Entworfen hatt die Uniform ein Schneider, genäht wurden sie dann aber selbst, in mühseliger Handarbeit. Geholfen haben vor allem Frauen. Später wurde von einer Spezialfirma noch ein passender, bestickter Umhang gefertigt. Das war damals eine echte Großinvestition. Dreißigtausend Mark haben wir investiert.

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Am Anfang habt Ihr keine Frauen bei euch aufgenommen, warum?

Kupferschmid: Das war damals nicht üblich. Auch in der Umgebung waren die Fanfarenzüge männlich besetzt. Erst später kamen Frauen dazu. Vor allem dann, als wir anfingen eher modernere Musik in einer Blasorchesterbesetzung zu spielen.

In den Siebzigerjahren hat sich eure Besetzung verändert, vor allem durch euren damaligen Leiter Willi Ehringer – wie geschah das?

Kupferschmid: 1975 ist unser damaliger musikalischer Leiter Eberhard Demleitner verstorben. Plötzlich und unerwartet. Theo Horn (1. Vorsitzender) und mir war natürlich sofort klar: Wir brauchen einen neuen Mann. Gleich fiel uns Willi Ehringer ein, schon damals war er als großes Musiktalent bekannt. Wir gingen also zu ihm nach Hause und fragten, ob er die Leitung des Fanfarenzuges übernehmen würde. Er meinte aber nur: „Das hat keinen Wert, ich habe ja schon drei Musikvereine – noch einen zu stemmen, das schaffe ich nicht.“ Seine Frau versuchte ihn dann zu überreden, die Stelle in Hockenheim zu übernehmen, damit er nicht immer so weit fahren muss. Er wollte aber nach wie vor nicht unser neuer Dirigent werden.

Wie konntet Ihr Willi Ehringer dann von euch überzeugen?

Kupferschmid: Seine Frau war ja dafür, dass er unser Dirigent wird. Also sagte ich zu Theo Horn: „Lass uns noch einmal mit ihm reden.“ Dann sind wir zu ihm gefahren – noch einmal. Schließlich hat er zugestimmt, bei einer unserer Proben zuzuhören. Er hat sich unser Spiel angehört und gleich Ideen entwickelt, wohin die musikalische Reise mit uns führen soll. Nach dieser Probe war er dann unser Dirigent – und das 25 Jahre lang. Für uns war das damals ein riesengroßer Gewinn.

Wie hat er den Fanfarenzug verändert?

Kupferschmid: Willi Ehringer war ein Vollprofi. Vor seiner Zeit haben wir nur Naturfanfaren gespielt und daher alles ohne Noten einstudiert. Das hat also immer ewig gedauert, bis mal ein Stück funktionierte. Willi Ehringer hat das nicht gefallen. Noten mussten her. Extra für uns hat er dann Stücke arrangiert und aufgeschrieben. Die Musiker besuchten bei ihm Schulungen, um die Notenschrift lesen und spielen zu können. Nach und nach kamen dann auch neue Instrumente mit Ventilen dazu und damit auch die Hinwendung zur modernen Blasorchesterbesetzung, in der der Fanfarenzug bis heute auftritt.

War das ein harter Weg? Wie haben die Musiker auf diese große Umstellung reagiert?

Kupferschmid: Wir konnten zweigleisig fahren. Sowohl Auftritte in unserer klassischen Fanfarenbesetzung als auch in der neuen, modernen Blasorchesterzusammenstellung waren möglich. Die Musiker waren damals begeistert und haben den Wandel begrüßt – obwohl die Umstellung vor allem am Anfang schwierig war. Das schuf ganz neue Möglichkeiten. Es gab Veranstaltungen, bei denen wir dann auch beides präsentieren konnten. Anfangs marschierten wir auf der Straße und konnten im Anschluss mit anderer Besetzung auf die Bühne wechseln. Die Fanfarenmusik rückte immer mehr in den Hintergrund.

Immer weniger junge Menschen engagieren sich ehrenamtlich in Vereinen – spürt das auch der Hockenheimer Fanfarenzug?

Kupferschmid: Wir haben schon Nachwuchs. Es ist auch schön zu sehen, dass sich regionale Vereine gegenseitig unterstützen. Wir sind alle Kameraden. Es gibt aber natürlich Fanfarenzüge, die fast nicht mehr auftrittsfähig sind. Das Gute ist: Fast jeder Zug spielt die gleichen Stücke. Spontane Aushilfen sind also fast immer möglich. Das ist aber bei Musikvereinen genauso, die unterstützen sich auch, wenn Hilfe gebraucht wird.

Wie soll es also in Zukunft weitergehen?

Kupferschmid: Wir haben Benjamin Wolf als musikalischen Leiter und damit jemanden aus den eigenen Reihen. Er hat bei uns als kleiner Junge angefangen und noch bei Willi Ehringer gelernt. Natürlich liegt sein Fokus auf der Blasmusik. Aber auch die Fanfarenmusik macht ihm Spaß. Und noch immer sind wir auf Reisen: zum Beispiel beim alle zwei Jahre stattfindenden Schlossfest in Neuburg an der Donau. Dort waren wir sogar schon sechs- oder siebenmal. Das ist ein Fest nach alter Tradition: nur Landsknechte und Fanfaren. Keine Blasmusik in moderner Besetzung – das macht schon Spaß. Und genau an dieser reinen Fanfarenmusik findet Benjamin Wolf auch Gefallen. Er ist dabei, hat eine Uniform an und fühlt sich in dieser Musik heimisch. Zu mir meinte er neulich, dass er diese Musik weiter fördern möchte.

Also soll es mehr Auftritte nach alter Tradition geben?

Kupferschmid: Vor Kurzem wurde in der Vorstandssitzung angesprochen, dass wir uns als reiner Fanfarenzug noch mehr einbringen müssen.

Was ist für Sie das Besondere an einem Fanfarenzug – beim konkreten Vergleich zur modernen Blasorchesterbesetzung?

Kupferschmid: Jedes Dorf hat einen Musikverein. Einen Fanfarenzug jedoch nicht. Und bei den Fanfarenbläsern erlebt man was. Zum Beispiel bei unseren Reisen zum Oktoberfest. 1988 sagte dort Franz Josef Strauß zu uns: „Ihr seid gut, ihr seid blau-weiß!“

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