Ketsch. Der Monat neigt sich langsam dem Ende, doch die Anzahl der restlichen Tage ist trotzdem höher als der Kontostand - für einige Menschen in Deutschland, Baden-Württemberg und letztlich auch in der Region ist das ein vertrautes Gefühl. Um der Problematik entgegenzuwirken, habe ich die App „Too good to go“ in Ketsch getestet.
Für mich persönlich, als Student in Heidelberg Anfang 20, ist ein leerer Geldbeutel mittlerweile Routine. Am ersten Tag eines jeden Monats erscheint in meinem Online-Banking-Account eine grüne dreistellige Zahl. Wenn die Tagesanzeige des Datums dann am zehnten des Monats zweistellig wird, folgt dem auch mein Kontostand - er wird zweistellig. Mein älterer Bruder Aaron, der sein Studium schon fast hinter sich gebracht hat, kennt dafür die Lösung: „Du musst dir ,Too good to go’ runterladen“, appellierte er. Wie immer folgte ich - als verantwortungsbewusster kleiner Bruder - seinem Rat.
Bedienung denkbar einfach
Wie jeder Monat wurde auch der August eines Tages zweistellig - mein Kontostand folgte seinem Vorbild - und ich habe den App-Store durchforstet und die Anwendung heruntergeladen. Nachdem ich meine Daten hinterlegt habe, konnte ich einen Umkreis festlegen, in dem mein Smartphone dann Angebote von Restaurants, Supermärkten, Bäckereien, Tankstellen und ähnlichen Geschäften, die Frischware anbieten, ausgespuckt hat. Im Angebot wird dann der ungefähre Preis ohne Vergünstigung und der vergünstigte Preis genannt. Der Rabatt bewegt sich dann, meiner Erfahrung nach, zwischen 50 und 75 Prozent, abgezogen vom eigentlichen Verkaufspreis.
Einen Einfluss, was am Ende in der Tüte ist, die der Frischwarenhändler anbietet, hat der Nutzer dabei allerdings nicht. Dafür kostet die Tüte oftmals weniger als ein Drittel des Grundpreises.
Der Zeitraum, indem abgeholt werden kann, ist normaler Weise auf mindestens eine halbe Stunde bis zu höchstens drei Stunden begrenzt. Dabei kann grob zwischen drei Kategorien unterschieden werden. Zunächst die Frühstücksangebote, zum Beispiel von Hotels, bei denen, nach vorheriger Reservierung und Bezahlung über die App, meist vormittags die Reste der ersten Mahlzeit des Tages abgeholt werden können. Restaurants, die Buffetreste oder übrig gebliebene Tages-Essen nachmittags anbieten und drittens, Frischwarenhändler, die nach Ladenschluss Ware anbieten, die sonst in der Tonne landen würden.
Zwar hat mich die App mit Angeboten überschüttet - in der Gemeinde Ketsch fand ich allerdings nur ein einziges: Das Backhaus Siegel bot an diesem Tag in der Zeit zwischen 17.45 Uhr und 18.15 Uhr eine Überraschungstüte für vier Euro an. Das Angebot war es alle mal wert, getestet beziehungsweise - im Erfolgsfall - genossen zu werden.
Nusscroissant und fünf Brötchen
So reservierte ich die Überraschungstüte und machte mich mit einem Freund auf den Weg zum Backhaus. Die Verkäuferinnen hatten die Ladenfläche schon geputzt und waren kurz vor dem Dienstende. Zurückhaltend wie ich bin, habe ich den Freund zur Abholung geschickt. „Das war einfach, ich musste nur das Angebot in der App vor den Augen der Verkäuferin entwerten, dann habe ich die Tüten bekommen“, berichtet mein persönlicher Unterstützer in dieser Sache Anton Heusgen. Als wir die zwei prall gefüllten Tüten dann zu Hause öffneten, konnten wir unseren Augen kaum trauen: Für vier Euro hatte ich einen Nusscroissant, ein Rosinenbrötchen, ein Rhabarberteilchen fünf Brötchen verschiedener Gattung und ein halbes Bauernbrot erwirtschaftet.
Für den Preis von vier Euro eine beeindruckende Ausbeute, die mein schwäbisch-stämmiges Herz höher schlagen lässt. Auch meine insgeheime Befürchtung, dass die Backwaren trocken oder hart sein könnten, bestätigte sich in keiner Weise.
Guter Schritt zur Nachhaltigkeit
Für meinen Geldbeutel, in dem sich manchmal Staubkörner aus dem letzten Jahr sammeln, ist diese App eine große Erleichterung. Doch nicht nur deswegen handelt es sich bei der Anwendung um einen sehr großen Schritt hin zu einer besseren Zukunft, denn aufgrund der Rechtslage sind Frischwarenhändler dazu verpflichtet, Ware wegzuwerfen, die eigentlich noch verzehrbar wäre. Das ist nicht nur Verschwendung, sondern auch eine unnötige Belastung unserer Umwelt.
„Too good to go“ hat übrigens nicht nur die Funktion anzuzeigen, wie viel Geld man durch die Nutzung der Anwendung gespart hat, sondern auch, wie viel Kohlenstoffdioxid.
Mit sieben Bestellungen habe ich mittlerweile 18 Kilogramm Kohlenstoffdioxid und 52 Euro eingespart. Ein Versuch ist es wert, hoffentlich wird dann durch eine steigende Nutzerzahl auch noch der ein oder andere Frischwarenanbieter mehr zur Nutzung der Anwendung motiviert.
URL dieses Artikels:
https://www.schwetzinger-zeitung.de/orte/ketsch_artikel,-ketsch-die-app-too-good-to-go-sorgt-in-ketsch-fuer-tolle-ueberraschungen-_arid,2118157.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.schwetzinger-zeitung.de/orte/ketsch.html