Oftersheim. „What would Jesus do?“, zu Deutsch „Was würde Jesus tun?“ ist seit dem frühen 20. Jahrhunderts aufgrund eines Romans von Charles Sheldon ein geflügeltes Wort im englischsprachigen Raum. In dem Buch – „In his steps“ – gibt ein Pastor seiner Gemeinde die Aufgabe, ein Jahr lang nichts zu tun, ohne sich zuvor die oben genannte Frage zu stellen.
Doch wie nimmt man sich eigentlich ein Beispiel an Jesus? Im weitesten Sinne wird sich damit der Vortrag beschäftigen, den Dr. Henning Hupe als Teil der Veranstaltungsreihe „Bibel mit Biss“ am Freitag, 2. Februar, im evangelischen Gemeindehaus Oftersheim halten wird. Hupe ist Religions- und Französischlehrer am Hebel-Gymnasium in Schwetzingen sowie Fachberater Unterricht für evangelische Religion. Zudem hat er Lehraufträge im Neuen Testament an verschiedenen Universitäten.
In Oftersheim wird er den Vortrag „Der soziale Jesus: Berührung und Erschütterung“ halten. Dabei geht es unter anderem um die Leitfrage, wie das Markusevangelium zur Nachfolge Jesu aufruft. Im Interview spricht Hupe im Vorfeld darüber, was das Besondere an gerade diesem Evangelium ist, was der soziale Jesus überhaupt ist und was die Besucher generell von seinem Vortrag erwarten können, dem außerdem Musik und ein Buffet zur Seite stehen werden.
Was kann man sich – als Laie – unter dem „sozialen Jesus“ eigentlich vorstellen?
Henning Hupe: Der soziale Jesus wäre jemand, der sich in der Gemeinschaft engagiert und verantwortlich fühlt. Ein einfaches Beispiel: Wir haben einen Menschen, der von der Gesellschaft ausgegrenzt und vor die Tore der Stadt verbannt ist – der Aussätzige. Mit dem will niemand etwas zu tun haben. Und Jesus wäre derjenige, der genau auf diesen Menschen zugeht, um ihn wieder zu integrieren und für ihn da zu sein.
Welche Rolle spielt das konkret für die Figur Jesus Christus in der Bibel?
Hupe: Im Markusevangelium ist das der erste Mensch, den Jesus überhaupt heilt, wodurch er zu dem wird, wozu er berufen wurde. Es ist seine erste Tat, nachdem er in der Wüste mit den wilden Tieren ringt, was eine Metapher dafür ist, dass er mit seinen eigenen Gefühlen umgehen muss. Von dem Allerniedrigsten in der Gesellschaft lernt Jesus, was er tun kann, wozu er in der Lage ist.
Das Markusevangelium
Das Evangelium nach Markus ist das zweite Buch – nach Matthäus und vor Lukas und Johannes – im Neuen Testament der Bibel und das kürzeste der vier Evangelien.
Nach der mehrheitlichen Meinung von Historikern ist es vermutlich das älteste Evangelium und war laut der Zweiquellentheorie ein inhaltlicher Einfluss auf die Evangelien nach Matthäus und Lukas.
Laut dem heutigen Forschungsstand entstand der Text rund vier bis fünf Jahrzehnte nach den Ereignissen, die das Buch schildert.
Die Geburt Jesu findet im Markusevangelium nicht statt. Stattdessen beginnt es mit der Figur von Johannes dem Täufer und mit der Offenbarung, dass Jesus Gottes Sohn ist.
Anschließend heilt Jesus in Galiläa mehrere Menschen und sammelt nach und nach seine zwölf Jünger um sich.
Der zweite Teil des Evangeliums wird von Jesu Weg nach Jerusalem und seinem Auftreten dort vor Ort bestimmt.
Dort findet sich unter anderem auch die bekannte Geschichte, in der Jesus die Händler und Geldwechsler aus dem Tempel vertreibt.
Es folgen mehrere Beschlüsse seitens der Autoritäten, dass Jesus zu töten sei. Daran schließen sich Abendmahl, der Verrat durch Judas sowie schließlich die Kreuzigung an.
In der ursprünglichen Fassung ist noch keine Rede von der Auferstehung. Allerdings wird zum Ende des Evangeliums das Grab Jesu leer aufgefunden. lh
Im Titel der Veranstaltung findet sich das Wort „Berührung“. Weswegen?
Hupe: Von dem Aussätzigen lässt sich Jesus „in den Gedärmen“ berühren. In der Antike ist das der Ort des Gefühls. Das ist schon geschickt konstruiert im Evangelium. Viele wollen Hoheitsaussagen über Jesus wie „König“ oder „Messias“. Bei Markus geht es mehr um die Frage Jesu „Wer bin ich eigentlich?“ Und die Antwort ist: Er ist derjenige, der sich von dem Ausgeschlossenen zu dem Besonderen machen lässt, was er ist. Das ist eine tolle Botschaft: Man muss nicht im Besonderen geboren oder durch etwas ausgezeichnet sein, sondern wir können alle zu demjenigen werden, der den Schwächsten hilft. Da gibt es keine Schwelle.
Eine der Leitfragen Ihres Vortrags in Oftersheim beschäftigt sich mit der Nachfolge Jesu. Was hat es damit auf sich?
Hupe: Im Prinzip sagt die obige Geschichte metaphorisch aus, dass diese Nachfolge jeder antreten kann. Jünger oder Nachfolger Jesu zu sein, heißt demnach nur: Ich lasse mich in meinen Gefühlen ansprechen und dann engagiere ich mich. Der Gradmesser dafür ist immer, dass es jemanden gibt, dem es nicht gut geht. Das können Sie in verschiedenste Kontexte übersetzen. Die metaphorische Sprache der Bibel lässt sich immer auf unterschiedliche Arten lesen. Der Aussätzige in der Geschichte kann der Kranke sein, der Arme, der Verurteilte – die Antwort ist immer richtig, es gibt keine einzig wahre Standardübersetzung. Das gibt uns die Kompetenz, es für uns selbst zu übersetzen und es gibt auch keine Gebrauchsanweisung oder Vergleichbares.
Was bedeutet das aus Ihrer Sicht denn für die Menschen, die sich das heute zum Vorbild nehmen wollen?
Hupe: Dass ich mich für denjenigen einsetze, der nicht zum Mainstream gehört oder der nicht der große Influencer im Internet ist, sondern, dass ich einen Blick behalte für all jene, die niemand sieht und die niemand hört. Aber setze ich mich für die ein, die nicht für sich selbst sprechen können, besteht die Gefahr, dass ich an ihrer Stelle spreche. Und das darf nicht sein. Denn so verhält sich dieser Jesus gerade nicht. Er tut stattdessen etwas, was anderen die Möglichkeit gibt, für sich selbst einzutreten.
Kann man das also im Grunde auch als „Hilfe zur Selbsthilfe“ übersetzen?
Hupe: Ja, ganz genau.
Ist es denn ein Ziel Ihres Vortrags, aus der Interpretation des Evangeliums eine Botschaft für die heutige Zeit zu ziehen?
Hupe: Ganz bestimmt. Die christliche Gemeinde soll merken, dass sie nicht auf etwas warten muss, sondern in der Lage ist, selbst etwas zu tun. In einer Geschichte des Evangeliums stellt Jesus seinen streitenden Jüngern mehrere Fragen: „Hört ihr denn nicht? Seht ihr denn nicht? Habt ihr ein verhärtetes Herz?“ Das sind Fragen, die mit der Rezeption zu tun haben. Das richtet sich also gleichermaßen an die Leser der Geschichte. Das Tolle am Markusevangelium ist, dass es keine Predigt liefert, sondern stattdessen eine rhetorische Frage stellt, eine Leerstelle beinhaltet, in die wir springen können und das werden, was sie füllt. Womit wir wieder bei der Frage nach der Nachfolge wären.
Wenn es in einem Vortrag so explizit um Texte aus der Bibel geht, stellt sich die Frage nach der Zielgruppe. Wer ist das Ihrer Meinung nach?
Hupe: Alle, die sich in irgendeiner Form für das Christentum interessieren. Aber im Prinzip gibt es da keine Begrenzung. Er richtet sich an Menschen, die sich davon berühren lassen könnten – und potenziell sind das erst mal alle. Ich finde, alle, die mit der Botschaft des Markusevangeliums etwas verbinden könnten, was zu einem besseren sozialen Miteinander führen könnte, sollten sie hören.
Anhand welcher Vorhaben oder Taten könnte sie denn zu einer gesellschaftlichen Verbesserung führen?
Hupe: Die Menschen sollten hören, wozu sie selbst in die Lage sind. Zum Beispiel: Ich kann weniger CO2 ausstoßen. Ich kann mich engagieren für meinen kranken Nachbarn. Ich kann sehen, dass im Bus jemand einen Platz braucht. Das kann auf dieser Ebene anfangen und dann auch zu mehr werden. Auch da haben wir keine Schwelle, die jemanden ausgrenzen könnte. Das Markus-Evangelium gibt nämlich auch ein Versprechen: Wenn ich mich darauf einlasse, dann ist das für mich ein Lebensgewinn. Denn es gibt dem eigenen Leben einen Sinn.
Inwiefern?
Hupe: Die Freude und der Sinn liegen in der Gemeinschaft. Der Mensch braucht ein Gegenüber. Und wenn ich sehe, dass mein Gegenüber mich braucht, dann kann ich für ihn da sein – ganz gleichberechtigt, aber trotzdem als Individuen. Und diese Berührung macht uns zu dem, was wir sind.
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