Speyer. Er ist Literaturexperte und der Welt des Schlagers zugeneigt. Beides nicht ohne ironische Distanz, und so ist eine Lesung mit Rainer Moritz ein vergnügliches Ereignis. Für den Germanisten, Lektor, Literaturkritiker, Autor – und eben auch Schlagerliebhaber – gab es bei der Auftaktveranstaltung von Speyer.Lit im Historischen Ratssaal ein Ständchen: Der Speyerer Gitarrist Michael Beutelsbacher stimmte auf die Lesung mit einem Hit von Christian Anders ein.
Was in der bekenntnishaften Dringlichkeit, mit der Beutelsbacher dieses Lied zum Besten gab, schon für heitere Mienen sorgte, wirkte mit Blick auf das real existierende Bahnchaos doppelt skurril: „Es fährt ein Zug nach Nirgendwo.“
Buchmarkt-Analyse und Preisdebatte: Moritz' provokante These
Damit waren heitere Vorzeichen gesetzt, die Rainer Moritz für seine Einblicke in die Welt des Buches nutzte. „So schön hat noch nie eine Lesung begonnen“, bedankte er sich und kredenzte seinen Hörern sogleich eine Anekdote aus seinem Band „Unbekannte Seiten“. Darin wird die Lesereise des verstorbenen Literaturkritikers Hellmuth Karasek beschrieben – vor allem dessen kulinarische Neigungen, denen der Kollege offenbar vor jeder Lesung nachging.
Auch wenn die Zugverspätung als Ausrede herhalten musste, dass der unter Zeitdruck stehende Büchermensch mit seinem frugalen Drei-Gänge-Menü nicht pünktlich zur Lesung fertig werden würde, es aber auch nicht beschließen mochte. Überhaupt scheinen lesereisende Autoren nicht selten von der traumatischen Erfahrung der gastronomischen Unterversorgung heimgesucht zu werden.
Literatur und Kulinarik: Anekdoten eines Büchermenschen über Buch und Brezel
Aus seinem neuesten Band „Das Buch zum Buch“, das, alphabetisch geordnet, weitere Anekdoten aus dem Verlagswesen bietet, gab Moritz seine Gedanken über die Marktentwicklung wieder. Diese seien, im Unterschied zum Preis für eine Speyerer Brezel, unverhältnismäßig billig. „Bücher müssen teurer werden“, forderte der Leiter des Literaturhauses Hamburg, nicht ohne seine Enttäuschung über den Genuss des Laugengebäcks im hohen Norden kundzutun: „Das Deprimierendste in meinem Leben.“
In „Das Buch zum Buch“ listet er Stellen auf, die als Belege für die Unfähigkeit von Schriftstellern herhalten müssen, sinnlich, oder wenigstens geistreich über die körperliche Liebe zu schreiben. Diese riskanten Stellen enthielt Moritz seinen Zuhörern aus Gründen des Anstands vor. Nur andeutungsweise gewährte er Einblicke in das literarische Scheitern, das schon den Vorgang des Entkleidens zu einem Klischee erstarren lasse: „Sie rissen sich gegenseitig die Kleider vom Leib.“ Als ob das so einfach sei.
Literatur und Schlagertexte: Zwischen Ironie und Tiefgang
Wer es nicht für möglich gehalten hätte, dass Schlagertexte Bezüge zur Weltliteratur aufweisen, wurde eines Besseren belehrt. Auch wenn, so in einem Schlager von Peggy March über den „Herrn Shakespeare“, Romeo und Julia nicht im literarhistorisch korrekten Verona verortet, sondern nach Florenz verfrachtet werden – wegen des Reimzwangs („Konkurrenz“).
Weitere Schlagertexte rezitierte Rainer Moritz mit satirischem Aplomb: Es gebe viele Texte, in denen die Nähe zum gedruckten Wort gesucht werde: „Wär’ ich ein Buch“ von Daliah Lavi, und natürlich der unvermeidliche Hit „Ohne Krimi geht die Mimi nie ins Bett“ mit Bill Ramsey. Allerdings gab es auch den „Paperback Writer“ der Beatles – doch einer wie Rainer Moritz, das hat diese Lesung nachdrücklich bestätigt, schreibt nicht für den Papierkorb, sondern für zahlreiche Augen – und Ohren.
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