Brühl. Sie sind unterwegs, wenn alle anderen schlafen. Dann gehen sie auf Diebeszug durch ihr Revier. Die Maske haben sie dann – wie übrigens den ganzen Tag – über den Augen. Waschbären. „Sie sind noch nicht besonders häufig rund um und in der Gemeinde anzutreffen, aber in den vergangenen Jahren sind es doch erkennbar mehr geworden“, weiß der Brühler Jäger Kai Rill zu berichten.
Er hat die Tiere schon seit einigen Jahren im Blick, denn eigentlich gehören sie nicht nach Europa und sorgen in den Lebensräumen vor Ort eher für Probleme. Sie gehören zu den sogenannten Invasiven, also gebietsfremde Arten wie Nutria, die Nilgans, verschiedene Wasserschildkrötenarten oder der Ochsenfrosch.
Konkurrenz für heimische Arten durch invasive Waschbären in Brühl
Eine gebietsfremde Tierart ist nicht von allein über Grenzen gewandert oder geflogen. Sie wurde von Menschen absichtlich oder versehentlich aus ihrem natürlichen Verbreitungsgebiet heraus in ein anderes, fremdes Gebiet oder Land gebracht und hat es geschafft, dort zu überleben und sich anschließend fortzupflanzen. „Der Waschbär ist aus Pelzfarmen entkommen oder ,befreit’ worden und hat sich sofort hier wohlgefühlt“, weiß Rill.
Als invasive Arten gelten Tiere dann, wenn sie sich in dem neuen Umfeld ausbreiten und sich das wiederum auf heimische Arten negativ auswirkt – zum Beispiel, indem sie um Nahrung und Lebensräume konkurrieren. Somit wird ihnen nachgesagt, die heimischen Ökosysteme zu gefährden.
Waschbären in Deutschland: Eingeführt, geschützt, gejagt
Als Pelzlieferant wurde der Waschbär in den 1920er Jahren aus Nordamerika nach Deutschland gebracht und fristete sein Dasein in den Folgejahren hauptsächlich in Pelzfarmen.
Mit dem Ziel ihn in deutschen Regionen anzusiedeln, wurden einzelne Waschbären 1934 in Hessen bewusst ausgesetzt. Stand das Tier in den Folgejahren der Ansiedlung noch unter Naturschutz, nahm Hessen den Kleinbären auch als erstes Bundesland in das Jagdrecht auf. Inzwischen darf und soll ihm in fast allen Bundesländern von Jägern nachgestellt werden.
Der Umgang mit dem Waschbären als Neubürger in Deutschland wird allerdings kontrovers diskutiert. Rill, der vor zwei Jahren einen einzelnen Waschbären geschossen hat, kennt auch den Grund für das Hin und Her der Bejagung. Währen EU-Recht eine Wiederausrottung und somit eine vehemente Bejagung fordere, heißt es im Jagd- und Wildtiermanagementgesetz Baden-Württemberg, dass der kleine Bär während der Schonzeit generell nicht gejagt werden dürfe. Damit klaffe zwischen Theorie und Praxis eine Lücke,in die jeder Jäger tappe.
Das Dilemma im Umgang mit invasiven Arten – auch in Brühl
So gibt es auch die Auffassung, dass der Waschbär mittlerweile zur heimischen Tierwelt dazugehöre und somit das Recht auf eine friedliche Existenz habe. Populationsökologisch habe sich demnach auch gezeigt, dass Bejagung oder Fang mit dem Ziel, die Populationsdichte zu reduzieren, zumeist ohne Erfolg bleibe. Waschbären können Populationsverluste durch eine vermehrte Fortpflanzungsrate ausgleichen – auch würden bei einer jägerischen „Entnahme“ neue Tiere aus den umliegenden Gebieten in den dann unbesetzten Lebensraum nachrücken.
Und so kann man in der Nacht den Waschbären etwa im Bereich Schwetzinger und Bachstraße, aber auch nahe der Rohrhofer Besiedlung bei den Schwetzinger Wiesen begegnen. „Der Lebensraum dort ist ideal für den Waschbären“, sagt Rill und zählt die Standortvorteile auf: Unterschlupft in Gebäuden der Gärten, Futter garantierende Mülltonnen als Nahrungsquellen und der nahe Leimbach beziehungsweise Rhein. Immerhin umfasst so ein Waschbärenrevier einen Quadratkilometer. „Da passt wirklich alles rund um Brühl“, so der Jäger.
Waschbärenpopulation in Brühl: Keine aktuellen Probleme
Doch außer dem Durchwühlen der inzwischen demontierten öffentlichen Mülleimer sind Rill keine Probleme im Umgang mit dem Menschen in Brühl bekannt – kein Eindringen über Katzenklappen in Wohnhäuser, kein Aushöhlen von Isolationen unter dem Dach. Die EU-Kommission befürchtet allerdings, dass invasive Arten wie der Waschbär die biologische Vielfalt von anderen Tiere und Pflanzen bedrohen. „In Deutschland ist bislang keine gebietsfremde Art bekannt, die wirklich zum Aussterben oder zur drastischen Reduzierung einer einheimischen Art geführt hätte“, hält dem die Umweltstiftung WWF entgegen.
In der EU ist dennoch seit 2015 eine eigene Verordnung in Kraft, die die „Prävention und das Management der Einbringung und Ausbreitung“ dieser Arten behandelt. Im schlimmsten Fall steht „managen“ darin für „töten“. In der Jagdsaison 2021/2022 haben Jäger nach offiziellen Angaben allein in Deutschland über 200 000 Waschbären geschossen. Ein Tier der Statistik stammt Rill zufolge aus Brühl.
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„Sie sind hier aktuell kein wirkliches Problem – allerdings darf man nicht vergessen, dass die possierlichen Tierchen nach wie vor Raubtiere bleiben, die andere Tiere fressen und bei plötzlichen Begegnungen auch für den Menschen nicht ungefährlich sind.“ Doch grundsätzlich gilt für den Brühler Jäger: Durch umsichtiges Verhalten ist ein friedliches Neben- und Miteinander von Mensch und Waschbär möglich. Und wie gesagt, gab es bisher keine Beschwerden über den scheuen nächtlichen Gauner mit der schicken Augenbinde.
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