Heimatgeschichte

Luftschiff SL I aus Brühl: Glanzvoller Auftritt bei der Kaiserparade vor 111 Jahren

Vor 111 Jahren schwebte das Luftschiff SL I der Schütte-Lanz-Werft über Berlin, während Kaiser Wilhelm II. und Kaiserin Auguste Victoria an der jährlichen Kaiserparade teilnahmen.

Von 
Ralf Strauch
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Brühl. Im Deutschen Kaiserreich war die Herbstzeit von den großen Manövern geprägt – am Kaisermanöver, das dann immer in einem anderen Teil des Landes stattfand, nahm auch „seine Majestät Wilhelm II. höchstselbst“ und Kaiserin Auguste Victoria teil, wie gerne in den damaligen Gazetten berichtet wurde. Besonderer Höhepunkt dieser alljährlichen militärischen Zurschaustellung war die große Parade durch die gastgebende Stadt, bei der alle Truppenteile den feldgrauen Rock gegen die farbenfrohe Paradeuniform austauschten.

Besonders glanzvoll waren diese Aufmärsche in Berlin. Da nahmen vor allem die Leibregimenter des Kaisers teil. Und vor 111 Jahren setzte eine aus Brühl stammende Attraktion einen ganz besonderen Akzent: Das Luftschiff SL I, also der Prototyp aus der Schütte-Lanz-Werft, schwebt am Himmel über den Soldaten und tausenden Zuschauern.

Das Luftschiff SL I beim Verlassen der Werft im Brühler Norden. Deutlich sieht man die Gerippeform auf der Außenhülle – so ist der Prototyp stets gut zu erkennen. © Heimatverein

„Die Anwesenheit des Schütte-Lanz-Luftschiffes SL I auf der Kaiserparade am 1, September 1912 ist wohl eine der Höhepunkte in der Geschichte dieses Versuchsluftschiffs“, stellt der Vorsitzende des Heimatvereins Brühl, Dr. Volker Kronemeyer, im Gespräch mit unserer Zeitung fest. Diese Teilnahme sei eine der frühen Erfolge technologischer Höchstleistungen aus der Hufeisengemeinde. Denn wie wichtig die Teilnahme an der Kaiserparade selbst für einfache Soldaten war, kann daran abgelesen werden, dass sie für eine Teilnahme an dem militärischen Zeremoniell jeweils eine entsprechende Plakette verliehen bekamen.

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Und noch etwas zeigt die Bedeutung, die auch Karl Lanz und Johann Schütte als Firmengründer dem Überflug der Truppen einräumten. Die Anfahrt nach Berlin war zeit- und kostenintensiv. Start war am 24. Juli 1912 und erst nach mehreren Tagen kam das Luftschiff auf dem Flugfeld Johannisthal bei Berlin an. Doch diese Großfahrt – es war das 23. Mal, dass das Luftschiff aufstieg – stellte eindrucksvoll die Leistungsfähigkeit von SL I unter Beweis.

Eine gelungene Werbemaßnahme für Schütte-Lanz aus Brühl

Den ganzen August über stand das Luftschiff aus Brühl bei dieser Reise, die auch über Gotha führte, wo man wegen einer drohenden Gewitterfront länger verweilte, der Öffentlichkeit mit Informationen und für Rundfahrten zur Verfügung. Auch von Johannisthal aus unternahm SL I in den Folgetagen insgesamt 18 Fahrten rund um Berlin und Potsdam. Doch unumstrittener Höhepunkt des Aufenthaltes in Berlin dürfte die Kaiserparade am 1. September in Berlin gewesen sein – „Schütte-Lanz konnte sich mit SL I werbewirksam dem Militär und der Zivilgesellschaft am Himmel über Berlin zeigen“, urteilt Kronemeyer.

Der Blick ins Innere der Luftschiffgondel von SL I zeigt besonders augenfällig das Steuerrad, aber auch die Instrumente, nach denen bei schlechter Sicht gefahren wurde. © heimatverein

Die sogenannten Kaiserparaden seien nämlich ein wichtiges Mittel der Werbung für alle Industriezweige im Kaiserreich gewesen, erklärt der Vereinsvorsitzende. Dabei habe man die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit und potenzieller Geldgeber erlangen können – „vergleichbar mit den heutigen Luftfahrschauen in Paris oder anderen Orten“. Aus dieser Sicht sei es von großer Bedeutung gewesen, dass Professor Schütte den amerikanischen Botschafter und dessen Gattin sowie den US-Militärattaché an Bord von SL I persönlich empfangen durfte.

Luftschiff SL I aus Brühl: Besonderes Rautenmuster

Die wirtschaftlichen Erwartungen erfüllten sich – zumindest nach einer damaligen Mitteilung der Brühler Werft. Der Mannheimer Fabrikant Dr. Karl Lanz und der Ludwigshafener Unternehmer Georg Otto Guilini konnten die Vertreter der Militärverwaltung von der Qualität des Luftschiffes überzeugen. „Besondere Aufmerksamkeit schenkte man der der äußerst guten Lenkbarkeit des Schiffes, die auch von allen Seiten gerühmt wurde.“

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Die Konstruktion dieses ersten Schütte-Lanz-Luftschiffs bestand im Gegensatz zu den Zeppelinen aus einem rautenförmigen Gerippe aus Sperrholz – am Bodensee wurde Leichtmetall für das Gerippe genutzt. Auffällig war das rautenförmige Muster von SL I, an dem man es auf alten Bildern gut erkennen kann. Es entstand dadurch, dass die Längsträger schraubenförmig um den Rumpf herumliefen.

Dadurch sollte ein besonders fester und gleichzeitig stoß- und schwingungsabsorbierender Rumpf geschaffen werden. Die Praxis bestätigt die Vorhersagen jedoch nicht. Und so wurde die nachfolgenden Modelle mit einem klassischen Ring- und Längsträger-Gerippe gebaut – allerdings verwendete man auch dafür in der Brühler Werft bis zum Schluss Sperrholz als Werkstoff.

Von Brühl nach Berlin: Wagemutiges Unternehmen für Luftschiff SL I

„Für den Stand der damaligen Fliegerei war die Fahrt von SL I von Brühl nach Berlin ein herausragendes und wagemutiges Unternehmen“, bilanziert der Heimatverein. Man navigierte nach Straße- und Eisenbahnkarten – und wenn dies nicht möglich war, nach Kompass. So geriet SL I auf der Hinfahrt nach Berlin-Johannisthal am 27. Juli zwischen Bitterfeld und Luckenwalde in eine geschlossene Wolkendecke und wurde ohne Sicht rein nach Instrumenten ans Ziel gesteuert.

Heftiger Wind war eine weitere Herausforderung: Auf der Rückfahrt am 4. September erlitt das Schiff deswegen in der Nähe von Fulda einen Propellerbruch, musste seine Fahrt unterbrechen und nach Gotha zurückkehren. „Die Landung gestaltete sich infolge des heftigen Windes sehr schwierig“, so die offizielle Verlautbarung, als SL I am 9. September wieder in seinem Heimathafen, der Brühler Luftschiffwerft ankam. Es hatte da auf dieser Tour insgesamt stolze 1833 Kilometer zurückgelegt.

Redaktion

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