Schwetzingen. Zum Amt des Oberbürgermeisters sind Sie ja ein wenig wie die Jungfrau zum Kind gekommen – oder?
René Pöltl: Das trifft es ziemlich gut. Als ich mit meiner Frau im Jahr 1999 nach Schwetzingen in den Schälzig gezogen bin, hatte ich nie den Plan, in der Stadt Bürgermeister oder gar Oberbürgermeister zu werden. Als dann Stefan Dallinger zur Metropolregion wechselte, wurde das Amt des ersten Beigeordneten frei – meine Frau Stefanie hat mich darin bestärkt, mich doch zu bewerben, weil es uns als Familie in Schwetzingen sehr gut gefallen hat. Es war dann aber doch auch eine Entscheidung für mich, die nicht ganz leicht war. Viele Menschen wissen ja nicht, dass man den Status eines Beamten auf Lebenszeit durch so eine Position verliert und Wahlzeitbeamter wird. Dass ich dann kaum im Amt war und der Oberbürgermeister, der mich geholt hatte, hier abgewählt wird, war natürlich überraschend für mich und das hat mich schon vor Herausforderungen gestellt.
Wie war die Zusammenarbeit mit Bernd Junker. Es wird ja immer gerne von der großen Rathausverschwörung gegen ihn erzählt?
Pöltl: Ich habe mit Bernd Junker sehr gut zusammengearbeitet. Wir haben uns menschlich gegenseitig geschätzt. Da er jedoch aus einer ganz anderen Branche kam und die Verwaltungsabläufe und Verordnungen erst kennenlernen musste, war es schon ein großer Arbeitsaufwand, der auf mich zugekommen ist. Ich habe das aber gerne angenommen, es war Teil meiner Aufgabe als Beigeordneter.
Und plötzlich war er auch weg, er hat ja das Amt dann aus gesundheitlichen Gründen niedergelegt?
Pöltl: Ja. Die Fraktionen aus dem Gemeinderat sind dann auf mich zugekommen und haben gefragt, ob ich es nicht machen möchte. Heißester Favorit war nachvollziehbar zuerst Stefan Dallinger, der aber auf einem anderen Weg war, wie wir heute wissen. Er hat den Fraktionen abgesagt. Ich habe auch erst mal überlegt – dann aber meine Bereitschaft signalisiert.
Wenn man so von außen schaut, denkt man ja, ob jetzt Bürgermeister oder Oberbürgermeister – das ist doch ganz ähnlich. Wie war es dann nach der Wahl für Sie?
Pöltl: Erst mal habe ich mich natürlich gefreut, dass ich mit so einer großen Zustimmung gewählt wurde. Und ich hatte ähnliche Gedanken wie Sie. Aber da unterschätzt man eben doch die emotionale Seite dieses Amts als Oberbürgermeister. Den hohen Verantwortungsgrad, den man als Rathauschef für die Gelder der Steuerzahler hat, für die vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und für die Zukunft einer so wunderbaren Stadt. Vor allem gibt es zwischen diesen beiden Ämtern nochmals einen sehr großen Unterschied im Grad des Öffentlichseins. Als OB bist du immer für alles verantwortlich, was aus dem Rathaus kommt, du wirst immer überall von den Bürgern angesprochen und mit Dingen konfrontiert, die du vielleicht erst mal nachprüfen musst. Du bist rund um die Uhr im Einsatz. Und das macht es auch für die Familie sehr schwer. Meine Frau hat ja selbst weitergearbeitet, hat in der Familie alles machen müssen und meine Kinder haben schon manches Mal darunter gelitten, die Kinder des Oberbürgermeisters zu sein – und damit auch öffentlich zu werden.
Und im Rathaus rumorte es zu der Zeit ja auch kräftig?
Pöltl: Ist doch klar, die Mitarbeiter waren verunsichert. Drei Chefs in eineinhalb Jahren. Einige haben uns auch verlassen und meine wichtigste Aufgabe war es erst einmal, die Unruhe in den Griff zu kriegen, alles so zu ordnen, dass wir in einem guten Miteinander für das Wohl der Bürger arbeiten können. Auch politisch gab es ja damals viele Verletzungen zwischen den handelnden Personen und im Gemeinderat.
Kam es Ihnen da zugute, dass Sie nicht Mitglied einer Partei waren?
Pöltl: Ja, denn sonst hätten sich sicherlich nicht fast alle Fraktionen darauf geeinigt, mich im ersten Wahlkampf zu unterstützen. Ich sehe mein Amt überparteilich. In der Kommunalpolitik sind Themen wichtiger als politische Richtungen. Mir war es wichtig, durch Argumente zu überzeugen. Und wenn ich gesehen habe, dass die Verwaltung bei einer Vorlage falsch liegt und die Mehrheiten andere Ziele haben oder sich in der Bevölkerung Missmut gegen ein Vorhaben bildet, dann habe ich das selbst überdacht und bin manches Mal zu dem Entschluss gekommen, dass Schwetzingen das so nicht will und vielleicht auch nicht braucht.
Haben Sie dafür mal ein Beispiel?
Pöltl: Denken Sie an die Diskussion eines Vier-Sterne-Hotels auf dem Alten Messplatz. Ich glaube schon, dass der Stadt so ein Haus gutgetan und dass es den Tourismus gefördert hätte. Aber es gab auch viele gute Argumente dagegen und obwohl der Investor Gewehr bei Fuß stand und wirklich gerne hier sein Vorhaben verwirklicht hätte, wollte ich auf keinen Fall so ein Vorhaben gegen die Ansichten der Bürgerinnen und Bürger durchsetzen. Wir haben die Überlegungen gestoppt und schließlich beerdigt. Dazu muss man auch bereit sein, wenn man für seine Bürger da sein möchte.
Aber Proteste hat es ja anfangs auch beim Umbau des Schlossplatzes gegeben. Da haben Sie es dann aber durchgezogen?
Pöltl: Zusammen mit Bernd Junker hatten wir das Kaufland hergebracht. Auch das kam nicht bei allen gut an, aber ich finde, dass es gut für die Innenstadt ist, auch wenn wir das in Sachen Demografie betrachten. Die obere Carl-Theodor-Straße war auch schon fertig. Aber wie sollte der Schlossplatz werden? Bei Reisen nach Italien hatte ich solche Plätze und Verkehrsberuhigungen in Innenstädten gesehen. Wichtig war, dass wir förmlich die damalige Bundesstraße 36 abstufen und neu um Schwetzingen herumführen konnten. Als der Schlossplatz mit Schrittgeschwindigkeit fertig war und wir ihn eingeweiht haben, gab es viel Häme. Im Länderspiegel hat ein Bewohner einer Nachbargemeinde sein Auto sogar über den Platz geschoben, um zu zeigen, was das für eine Verkehrsbehinderung sei. Einige politische Vertreter sind schon nervös geworden. Ich habe immer gesagt: Wartet ab, bis es Sommer ist. So kam es auch, die Menschen saßen auf dem schönen neuen Platz, genossen die Sicht auf unser Schloss und lobten die Atmosphäre. Plötzlich war alles gut, man muss manchmal auch hartnäckig sein und abwarten können.
Bürgerbeteiligung war ja von Beginn an Ihr Thema?
Pöltl: Ich halte das nach wie vor für richtig. Man muss die Menschen mitnehmen. Schade finde ich nur, dass meistens die gleichen Personen zu diesen Terminen kommen. Das macht dann manchmal den Eindruck eines Parallelparlaments zum Gemeinderat. Ich würde mir wirklich wünschen, dass die Menschen stärker mitmachen und sich einbringen. Wir haben gute Ideen aus der Beteiligung in die Projekte einfließen lassen.
16 Jahre sind ja eine lange Zeit. Und doch gibt es Projekte, die so eine lange Zeit brauchen, bis sie fertig werden. Ist die Verwaltung zu langsam?
Pöltl: Der schönste Tag ist immer der, wenn man als OB etwas eröffnen darf. Da denke ich gerne an den Schlossplatz-Umbau, die Decathlon-Einweihung, die Schimper-Gemeinschaftsschule, die so toll geworden ist. Oder jetzt der erste Bauabschnitt der „Schwetzinger Höfe“. Ich bin mir sehr sicher, dass dieses Projekt gut ist für unsere Stadt und dass es schön wird. Aber am Beginn stand erst mal die Nachricht, dass ein Unternehmen, das seit über 100 Jahren hier produziert, schließt und weggeht. Da schluckst du und musst Stück für Stück darüber nachdenken, was man mit so einer großen Fläche – einer Industriebrache – machen könnte. Und dann musst du einen Investor finden, der sich so etwas zutraut und dann auch noch seriös ist. Das kann dauern. Natürlich hätte ich mir gewünscht, beim Ausbesserungswerk schneller weiterzukommen. Ich hätte auch gern noch das Rothackersche Haus eröffnet. Aber auch da war es mir wichtig, das Projekt kostenmäßig abzuspecken und machbar für eine Stadt dieser Größe zu halten. Es wird trotzdem eine große Bereicherung für die Bürger und die Gäste werden, davon bin ich überzeugt. Und ich hätte gerne noch den neuen Shop von Decathlon eingeweiht. Da gab es jahrelange Diskussionen in der Region. Und manches ist ja schon grotesk: Wir mussten die Größe der Fahrradabteilung bei Decathlon einschränken. Und auf der anderen Seite der Bundesstraße darf wenig später eine Fahrradstore neu gebaut werden, der deutlich größer ist. Aber gut.
Was lag Ihnen für Schwetzingen besonders am Herzen?
Pöltl: Den ganz besonderen Lebenscharakter hier zu bewahren. Seit Carl Theodor, der ja gerade für seinen 300. Geburtstag bei uns gefeiert wird, steht Schwetzingen für Weltoffenheit, Toleranz, Kultur und seine freiheitlich liberale Grundhaltung. Hier gilt bis heute: Leben und leben lassen. Damals wie heute kann es sich hier jeder leisten, mit einer Jahreskarte alle Tage in einen der schönsten Parks der Welt zu gehen, auf dem Schlossplatz zu sitzen und etwas Gutes zu essen oder zu trinken. Wir haben das Bellamar zu erschwinglichen Preisen, rüsten unsere Kindergärten stetig nach, haben eine Bildungslandschaft, die man in einer Stadt dieser Größe suchen muss. Teilhabemöglichkeiten in dieser Qualität, wie wir sie hier in Schwetzingen haben, gibt es nicht oft in Deutschland. Das wurde mir auch durch meine Tätigkeit für den Deutschen Städtetag nochmals sehr bewusst.
Eine Herzensangelegenheit für Sie war ja die Partnerschaft mit Fredericksburg. Warum?
Pöltl: Einer der letzten Kommandeure in der Schwetzinger Kaserne hatte mich darauf angesprochen. Er fand zu Recht, dass nach so einer langen Zeit als Garnisonsstadt für die Amerikaner diese Beziehung weiterhin gepflegt werden sollte. Und er hat dann auch den konkreten Vorschlag gemacht, weil er Fredericksburg kannte und fand, dass beide Städte sehr von ihrer Historie geprägt sind und gut zueinanderpassen könnten. Ich hab dann meine Familie überredet, einen Pri-vaturlaub nicht in Italien, sondern in den USA zu machen. Der damalige Bürgermeister, der polnische Wurzeln hatte, hatte zunächst Vorbehalte. Als wir dann bei mehreren Serviceclubs und Events waren und alle von Germany geschwärmt haben, sobald ich sagte, wo ich herkomme, hat es bei ihm Klick gemacht. Übrigens bezahlen wir inklusive der Gemeinderäte unsere Flüge dorthin immer selbst.
Wie haben Sie denn das Rathaus geführt? Und wird sich da was ändern?
Pöltl: Ich bin ja beruflich geprägt von meinen früheren Chefinnen OB Beate Weber und der Leiterin des Rechtsamts in Heidelberg Ursula Scherle-Kühnel. Zwei tolle und beeindruckende Frauen. Mir war es wichtig, dass Frauen auch Führungspositionen bekommen können. Die Belegschaft war schon früher mehrheitlich weiblich, aber heute haben wir auch in den Leitungspositionen eine ausgeglichene Situation. Und ich finde auch, dass man ein Amt gut in Teilzeit leiten kann – unsere Kämmerin ist doch das beste Beispiel dafür. Statistiken zeigen eh, dass Frauen im Durchschnitt bessere Schulabschlüsse und Studienergebnisse aufweisen, sie bringen tolle Leistungen und andere Perspektiven ein. Das wichtigste ist aber, dass man den Mitarbeitern vertraut und ihnen auch freie Hand lässt. Ein OB kann nicht alles selbst machen und wenn mal was schiefgeht, dann geht die Welt nicht unter, man kann es bereinigen und nächstes Mal besser machen. Das hat sehr gut funktioniert.
Was werden Sie künftig vermissen?
Pöltl: Ich habe hier ganz tolle Menschen um mich herum gehabt. Aber ich bleibe ja in Schwetzingen und werde weiterhin zu Veranstaltungen gehen. Und ich war ja immer auch als Privatmensch unterwegs und bin mit Freunden essen gegangen oder habe mit ihnen bei guter Musik abgerockt. Das bleibt so. Ich hab mir die Entscheidung, nicht mehr zu kandidieren, nicht leicht gemacht. Ich glaube auch, das ich eine realistische Chance der Wiederwahl gehabt hätte. Aber ich weiß auch, dass für Matthias Steffan genau jetzt das Fenster offen war, um diesen Schritt zu gehen. Als er mir signalisiert hat, dass er sich eine Kandidatur vorstellen könnte, wenn ich nicht mehr antrete, da wusste ich, dass die Stadt in guten Händen sein würde, die Entscheidung oblag am Ende dann den Bürgern.
Was machen Sie jetzt mit der vielen Freizeit?
Pöltl: Mir wird es nicht langweilig werden. Ich werde mehr Zeit für rechtswissenschaftliche Arbeiten haben, ich publiziere seit Langem in meinem Fachgebiet – öffentliches Recht – und das bereitet mir sehr viel Freude. Zudem werde ich wieder mehr Zeit für Lehrveranstaltungen an der Hochschule haben, ich gebe schon immer mein Wissen und meine Berufserfahrung sehr gerne an andere Menschen weiter. Und dann ist da die Musik – endlich werde ich wieder Zeit für Konzertbesuche und das eigene Musizieren haben. Zudem lese ich leidenschaftlich gerne und viel und koche sehr gerne, und dann sind da noch unser Haus und der Garten. Und mehr Zeit für die Familie – meine Frau und unsere beiden Kinder – ist mein größtes Ziel. Es gilt, viel zurückzugeben, was durch mein Amt auf der Strecke geblieben ist. Und wenn mir dann nichts mehr einfällt – Schwetzingen und die Region bieten so viel!
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