Vortragsreihe

Grundgesetz in Schwetzingen im Blickpunkt: Schild für Freiheit

75 Jahre Grundgesetz 2024: Diesem wichtigen Thema hat die Volkshochschule Bezirk Schwetzingen eine Vortragsreihe gewidmet, die spannender nicht sein kann. Richter Dr. Alessandro Bellardita war zu Gast.

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Stefan Kern
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Eine Meisterleistung, die in 13 Tagen geschaffen wurde: das Grundgesetz. © Uli Deck

Schwetzingen. Das Grundgesetz ist das Fundament des Staates. Es ist ein Satz, der leicht daher gesagt ist und in seiner Tragweite meist nicht wirklich erfasst wird. Um aber genau diese Tragweite zu begreifen, lohnt es sich, dem Richter am Landgericht Karlsruhe und Dozent an der hiesigen Hochschule für Rechtspflege, Dr. Alessandro Bellardita, bei der Vortragsreihe „75 Jahre Grundgesetz“ in der Volkshochschule Bezirk Schwetzingen zuzuhören.

Für ihn ist das Grundgesetz „eine absolute Meisterleistung“. In gerade einmal 13 Tagen schufen die Mütter und Väter des Grundgesetzes auf der Insel Herrenchiemsee 149 Artikel, die auch aus heutiger Sicht brillant anmuten. Und in genau diese Kategorie gehört der in Modica, im Südosten Siziliens, geborene Bellardita. Einfach grandios, wie er die Entstehungsgeschichte des Grundgesetzes in kleine und große Anekdoten verpackte und die Zuhörer auf eine fesselnde Reise mitnahm, die gerade heute wichtiger denn je erscheint. Geraten doch derzeit weltweit Verfassungen und Verfassungsgerichte unter Druck. Und das am Ende zum Schaden aller. Nur schade, dass lediglich so an die 20 Zuhörer den Weg in die Volkshochschule fanden. Wünschenswert wäre eine mindestens vierstellige Zahl an Zuhörern gewesen. Denn das Grundgesetz ist mehr als nur das Fundament des Staates, es ist die Seele der freien und anständigen Gesellschaft. Und genau das vermittelte der Mann.

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Wie ein Stern, der unter dem Druck seiner Masse zu leuchten beginnt, wählte Bellardita seine Worte so, dass das Grundgesetz fast wie ein Stern zu leuchten anfing. Und zwar ein Stern, der wie der Polarstern (auch Nordstern genannt) Orientierung verspricht.

Ganz kurz ging der Jurist anfangs auf die Frage ein, warum es nach wie vor Grundgesetz und nicht Verfassung heißt. Der Grund findet sich in der Geschichte, damals war Deutschland geteilt und mit dem Namen Grundgesetz sollte der provisorische Status beschrieben werden. Heute habe das aber keine Bedeutung mehr. „Faktisch ist es eine Verfassung.“

Kontroverse um die Todesstrafe im Grundgesetzt

Begonnen hat alles im Frühjahr 1948 mit der Sechsmächte-Konferenz in London. Die USA, Frankreich und England sowie die drei Benelux Staaten Belgien, Niederlande und Luxemburg beschlossen sozusagen die Auftragsvergabe für das Grundgesetz. Die einzigen Vorgaben waren individuelle Freiheitsrechte und eine föderalistische Staatsstruktur. Vom 10. bis 23. August 1948 saßen die 65 Mitglieder des Parlamentarischen Rates zusammen und erarbeiteten das staatlich-gesellschaftliche Gefüge. Und am Beispiel der Frage zur Todesstrafe zeigte er, dass es da durchaus kontrovers zuging. Zwischen den beiden Sozialdemokraten Carlo Schmid und Friedrich Wilhelm Wagner auf der Todesstrafen-Gegnerseite und dem CDU-Abgeordneten Adolf Süsterhenn auf der Befürworter-Seite entzündete sich der Disput.

Dabei war die Gemengelage kompliziert. Süsterhenn war einer der Angeordneten, der den Artikel 1 tiefgehend formten. Der CDU-Mann war geprägt von der Philosophin Hannah Arendt und ihrem Buch „Wir Flüchtlinge“. Darin erklärte Arendt, dass der Ansatz zur Unantastbarkeit der Würde allein für sich nicht zielführend sei. Es brauche staatliche Gewalt, die diese Würde schütze. Menschenrechte werden ohne eine garantierende Staatlichkeit zur leeren Formel. Und so lautet der 1. Artikel nicht nur „Die Würde des Menschen ist unantastbar“, sondern auch „Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt“.

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Trotz dieses Denkens, war Süsterhenn vom Sinn der Todesstrafe überzeugt. In seinem Bundesland Rheinland-Pfalz stand damals Irmgard K. vor Gericht, die ihre beiden kleinen Kinder aus niederen Beweggründen ermordete. Sie wollte sie wohl wirklich einfach loswerden. Vielleicht habe ihn das Schicksal der Kinder zu dieser Haltung zur Todesstrafe bewogen, obwohl der Artikel 1 dazu ja im Widerspruch steht. Am Ende entschied der Zufall. Die Lage im Parlamentarischen Rat war knapp. Die letzte Abstimmung stand bevor, Süsterhenn und Wagner standen vor ihren Plädoyers. Doch auf dem Weg nach Herrenchiemsee verunglückte der Wagen Süsterhenns und er konnte weder das Wort ergreifen noch mit abstimmen. Und so ging die Abstimmung über Artikel 102 „Die Todesstrafe ist abgeschafft“ mit fünf Mehrstimmen durch den Rat. Damit entsprach auch dieser Artikel dem wichtigen Anspruch des Rates, die Antithese zur nationalsozialistischen Diktatur zu sein.

Mehrheit hat nicht immer recht

Ein weiteres Beispiel hierfür ist die föderale Struktur und die Garantie für Parteien. Das Durchregieren sollte verunmöglicht werden. Deshalb auch die Gewaltenteilung, die auf den französischen Philosophen Baron de Montesquieu zurückgeht. Ganz wichtig dabei das Bundesverfassungsgericht. Zwar gelte in einer Demokratie der Mehrheitsentscheid. Aber diese Mehrheit, so Bellardita, habe nicht immer recht.

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Und deshalb habe das Bundesverfassungsgericht eine Monopolstellung bei der Delegitimierung von, vom Parlament beschlossenen, Gesetzen. Ebenfalls von entscheidender Bedeutung sei das Misstrauensvotum, das im Grundgesetz erstmals mit dem Adjektiv konstruktiv versehen wurde. Damit ist garantiert, dass die Opposition die Regierung nur stürzen kann, wenn sie umgehend eine neue Regierung installieren kann. Weimarer Verhältnisse gehören seitdem der Vergangenheit an. Die Italiener haben dieses Adjektiv in ihrer Verfassung nicht. Die Folge, häufige Regierungswechsel.

Das Grundgesetz - eine historische Sternstunde

Ganz grundsätzlich orientiert sich das Grundgesetz am Menschen. Der Entwurf für Artikel 1 lautete damals: „Der Staat ist um des Menschen willen da, nicht der Mensch um des Staates willen“. Es ist, so Bellardita, der grundlegende Tenor des Grundgesetzes. Am 8. Mai 1949, genau vier Jahre nach der Kapitulation Deutschlands, wurde das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland durch den Parlamentarischen Rat verabschiedet. Für Bellardita eine historische Sternstunde, die es unbedingt zu verteidigen gilt. Denn unser Grundgesetz ist eine Art Schild - ein Schild für die Demokratie, für die Freiheit und auch die Anständigkeit. Aber er funktioniert nur, wenn dieser Schild von allen getragen wird.

Info: Weitere Termine der Vortragsreihe „75 Jahre Grundgesetz“ sind jeweils ab 19 Uhr in der VHS der 21. März „Was ist Freiheit“, 18. April „Sind wir alle gleich?“ und 16. Mai „Demokratie und Grundrechte - ein Spannungsverhältnis“. Infos: www.vhs-schwetzingen.de/75-jahre-grundgesetz

Freier Autor Stefan Kern ist ein freier Mitarbeiter der Schwetzinger Zeitung.

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