Schwetzingen. Die Aufführung von Mozarts Oper „Die Entführung aus dem Serail“ hat bei den Besuchern des Rokokotheaters im Schloss Schwetzingen wahre Begeisterungsstürme ausgelöst. Die Produktion des Theaters Plauen-Zwickau mit den dazugehörigen Clara-Schumann-Philharmonikern unter der Leitung von Leo Siberski verzichtet auf Modernisierungen. In der Regie von Horst Kupich wirkt Mozarts Singspiel taufrisch und unverkrampft. Der Stoff ist, auch ohne zeitgenössische Adaptionsbemühungen, von brennender Aktualität.
Konstanze und Belmonte wurden bei einer Schiffsreise durch einen Überfall voneinander getrennt. Fortan lebt die Braut im Serail Bassa Selims, der nun Ansprüche auf die Geliebte erhebt. Gemeinsam mit seinem Diener Pedrillo hegt Belmonte den Plan, Konstanze und deren Zofe aus der Gewalt des türkischen Herrschers zu befreien. Hierbei treffen nicht nur die handelnden Personen konfliktreich aufeinander, vielmehr lebt Mozarts Dreiakter von jener Faszination, die den okzidentalen Blick auf den Orient seit jeher bestimmt.
Dabei mischen sich erotisierte Fantasien mit historischen Erfahrungen der Gewalt, die das Aufeinandertreffen der Kulturen freigesetzt hat. In der Figur des Bassa Selim, dessen amouröse Offensiven an der Treue Konstanzes zu Belmonte abperlen, wird dieser spannungsreiche Gegensatz der Leidenschaften verkörpert: Der türkische Herrscher hätte die Macht, den Gehorsam der begehrten Dame zu erzwingen. Doch er verzichtet darauf in der weisen Erkenntnis, dass es nicht Liebe wäre, die er damit bekäme.
Selbst das alttestamentliche Prinzip „Auge um Auge“ wird am Ende außer Kraft gesetzt. „Nichts ist so hässlich als die Rache“, singt das Quartett der Befreiten, bevor diese am Ende wieder gen Heimat segeln. In seliger Erleichterung ob der Treue Konstanzes verkündet Belmonte: „Was aller Welt unmöglich scheint, wird durch die Liebe doch vereint.“ Das könnte als Blaupause für die Konflikte dieser Welt dienen, wenn es hierbei nicht so kompliziert zuginge. Während der Türkenfürst seine Gefangenen ziehen lässt, beobachten wir fassungslos, wie der Hass seine Regentschaft über diese Welt ausbreitet.
Der Ernst des Realen lauert
Die Inszenierung des sächsischen Theaters bringt es fertig, Mozarts Singspiel in den Kontext einer unheilvollen Gegenwart zu stellen, ohne es seiner koketten Verspieltheit zu berauben. Zugleich verweisen die zahlreichen neckischen Dialoge auf eine heiter gestimmte Intention, die gleichwohl nicht mit einer kindisch-naiven Haltung zu identifizieren ist. Wir amüsieren uns köstlich über das lustige Treiben auf der Bühne, aber vergegenwärtigen in jeder Sekunde, dass wir einem Spiel beiwohnen, hinter dem der Ernst des Realen lauert.
Der bleibt in der schmucken Atmosphäre des Schwetzinger Rokokotheaters für diesen Abend freilich außen vor. Der Ort könnte für eine solche Aufführung kein besserer sein, das Format scheint für dieses ästhetische Sujet wie geschaffen. Die Musik der Philharmoniker kann sich aus dem Orchestergraben vor der Bühne in der trockenen Akustik zwar kaum raumgreifend entfalten; dafür ist die Instrumentalbegleitung stets auf der Höhe des Bühnengeschehens und erlangt als Illustration der Affekte und der rhetorischen Wendungen eine hohe Wirkungskraft.
Perfekte Besetzung
Bühnenbild und Kostüme (Jakob Knapp) gewähren unserer Fantasie dank sparsamer Andeutungen genügend Gestaltungsräume. Und neben den hervorragenden sängerischen Darbietungen überzeugen auch die darstellerischen Leistungen der handelnden Personen.
Christina Maria Gass (Sopran) ist eine ehrbare, wenn auch gegenüber den erotischen Verlockungen durch den türkischen Herrscher nicht völlig resiliente Dame. Elisabeth Birgmeier (Sopran) gibt eine mit emanzipativen und lasziven Reizen gleichsam spielende Zofe. Remy Burnens (Tenor) und André Gass (Tenor) verkörpern als Belmonte und Pedrillo ein zwischen naiver Jugendlichkeit und tapferer Entschlossenheit schwankendes Mannsein, während Andrey Valiguras (Bass) einen immerfort drohenden, aber gar nicht bösen Haremswächter spielt. Manfred Ohnoutka ist in seiner Sprechrolle ein würdiger Herrscher, der gleichwohl alle Mühe hat, seine natürlichen Triebe in den Griff zu bekommen.
Glockenhelle und koloratursichere Soprane, lyrische und leidenschaftliche Gefühle artikulierende Tenöre und ein kellertiefer Bass, der dunkle Gefahren beschwört, um sich dann doch lieber einen ordentlichen Rausch anzutrinken, sind neben dem unprätentiösen Mozartspiel des Orchesters und den beiden kurzen Auftritten des Plauen-Zwickauer Opernchors die musikalischen Ingredienzen dieser Aufführung. Überzeugend wirkt sie aber vor allem, weil sie nicht mehr will, als dieses Stück bereits enthält. Und das ist noch immer mehr als genug.
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