Hockenheim. Oft steckt Strategie dahinter, wenn politisches Personal ein halbes Jahr vor einer Wahl wechselt: Da soll wer noch rechtzeitig vorm Urnengang bekannt gemacht werden, um die Chancen zu erhöhen. Der Abschied von Marina Nottbohm aus der SPD-Fraktion des Gemeinderats, der in der Sitzung am Mittwochabend vollzogen wurde, fällt nicht in diese Kategorie.
Politischer Abschied aus persönlichen Gründen: Nottbohms Entscheidung, die Politik zu verlassen
Die Fraktionsvorsitzende hatte bei der Kommunalwahl 2019 mit 4146 Stimmen das mit Abstand beste Ergebnis ihrer Partei geholt. Ihr Abschied hat familiäre Gründe: Sie verlässt mit ihrem Mann Klaus ihren langjährigen Heimatort Hockenheim, um im Freiburger Land ganz nah bei ihren Enkeln zu sein, und „fängt mit 63 Jahren noch mal ganz von vorn an“, wie sie es formuliert.
„Freiburg bekommt eine kompetente und engagierte Frau“, war sich Oberbürgermeister Marcus Zeitler sicher, der Marina Nottbohm für die „gute Zusammenarbeit auf Augenhöhe, geprägt von gegenseitigem Respekt“ dankte. Er habe viele Diskussionen mit der Sozialdemokratin geführt, doch hätten beide das gleiche Ziel verfolgt: gute Beschlüsse für die Bürger zu erreichen.
Marina Nottbohm verlässt den Hockenheimer Gemeinderat: Kämpferisch und kompromissbereit
Der OB hob Nottbohms Engagement für die Partnerschaften hervor, die Verbindung nach Mooresville trage ihre Handschrift. „Sie sind jemand, die sagt, was sie denkt und für ihre Überzeugungen und Ziele kämpft, aber auch kompromissbereit ist, wenn es um lösungsorientierte Vorschläge und deren Umsetzung geht“, bescheinigte Zeitler der scheidenden Ratskollegin.
In vielen Bereichen sei Nottbohm genauso ungeduldig wie er selbst, sagte der Rathauschef, was zeige, dass sie Lust und Leidenschaft in ihr Ehrenamt mitgebracht habe. Die Sozialdemokratin sei eine „hervorragende Vertretung für die Bürgerschaft“ in Hockenheim gewesen und habe viele von deren Problemen zu ihren eigenen gemacht. Mit viel Applaus der Ratskollegen, einer Urkunde und einem Blumenstrauß wurde Marina Nottbohm aus dem Gemeinderat verabschiedet. Als Nachrückerin in der SPD-Fraktion verpflichtete Marcus Zeitler im Anschluss Aylin Kuppinger.
Auf Nachfrage der Redaktion sagt Marina Nottbohm, sie könne mit einem guten Gefühl gehen, „denn ich verlasse eine Fraktion, in der man mit der Kombination Freundschaft, Vertrauen und Sachverstand immer gut gefahren ist.“
Alte Hasen und junge Damen in Hockenheim: „Neue Ideen braucht es, frisch gegen den Strich gebürstet“
Die beiden „alten Hasen“ Richard Zwick und Ingrid Trümbach-Zofka würden konzentriert und unaufgeregt weiterarbeiten und die beiden jungen Damen Marlene Diehm und Aylin Kuppinger ihnen immer wieder Dampf machen. „Neue Ideen braucht es, frisch gegen den Strich gebürstet“, denn es gebe immer noch viel zu tun in Hockenheim.
Im Rückblick klängen „ihre“ Themen und Wünsche, die sie vor über 14 Jahren der Hockenheimer Tageszeitung beim Amtsantritt nannte, heute in ihren Ohren recht naiv, findet die gebürtige Hildesheimerin, die 1991 mit ihrer Familie nach Hockenheim gekommen war.
„Klar, aus dem Schülercafé im Gauß wurde tatsächlich eine Mensa und auch die Obdachlosenunterkunft im Hofweg ist nun Geschichte, aber der Weg dorthin war sehr steinig und vor allem langwierig“, blickt sie zurück. Das habe nicht nur am Gemeinderat gelegen, sondern vor allem an der deutschen Bürokratie. Damals hätte sie nicht gedacht, dass zwischen einer Idee und der Ausführung oft so viele Jahre liegen.
Erinnerungen und Anekdoten von Marina Nottbohm: Jeder sollte mal im Rat mitwirken
Als Beispiel nennt sie den Bau von bezahlbaren Wohnungen auf dem Grundstück Hubäckerring/Max- Planck-Straße. „Immerhin sind wir hier auf einem guten Weg. Und ich werde natürlich auch in Südbaden weiter alles verfolgen, was so läuft in Hockenheim“, verspricht Nottbohm.
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Im Gemeinderat habe es sicher Höhen und Tiefen gegeben, fast wie im normalen Leben. „Früher war mehr Lametta“, zitiert sie Loriot. Sie erinnere sich an einige Exkursionen mit Gemeinderat und Verwaltung, die nicht nur zu neuen Erkenntnissen zum Beispiel zur Stadtentwicklung führten, sondern auch echt zur Teambildung beitrugen. „Am Abend war es nämlich egal, neben wem man saß. Mit dem Glas in der Hand anstoßen geht sogar mit der CDU, den Freien Wählern, den Grünen und auch der FDP“, meint sie augenzwinkernd.
Wenn sie die jungen Leute in der SPD beobachte, erkenne sie sich manchmal selbst wieder: „So viel Energie, so viel Zuversicht und vor allem immer das SPD-Gen, das uns irgendwie alle auszeichnet – sozialer Einsatz für andere.“ Für sie sei es einmal das größte Lob eines Kollegen gewesen, als er sie als das „soziale Gewissen der SPD“ bezeichnete.
Die Themen, mit denen sie sich beschäftigen musste, hätten sich explosionsartig vermehrt. Es sei total spannend, in einem solchen Gremium mitzuarbeiten – „vor allem, wenn man wie ich nichts schlimmer findet als Langeweile“, ergänzt sie. Vom ersten bis zum letzten Tag habe sie viel Neues erfahren, wichtige Zusammenhänge kennengelernt und vor allem erlebt, dass man gemeinsam mit allen Fraktionen ganz viel erreichen kann. „Ich habe schon oft gedacht, dass eigentlich jeder Bürger eine Zeit lang im Gemeinderat mitarbeiten sollte“, sagt Nottbohm.
Marina Nottbohm verabschiedet sich mit klarem Statement: „Wir brauchen hier vor Ort keine ,Alternative’“
Großartig findet sie, dass sich die Fraktionen bei einigen Beschlüssen auf eine einzige Stellungnahme geeinigt hätten. Das zeige, dass die Meinungen nicht immer so weit auseinanderliegen. Aber natürlich sei sie oft mit Stellungnahmen anderer Parteien nicht zufrieden gewesen. Und obwohl sie sich immer vorgenommen habe, sich alles ruhig und mit Pokerface anzuhören und etwaige Kritik erst nach langem Überlegen zu äußern, sei es immer mal passiert, „dass ich fast geplatzt bin“. Eine Stadtratskollegin habe es so ausgedrückt: „Ich merke, wie du mit den Augen rollst, Marina, auch ohne dich anzusehen.“
Sie drücke jedenfalls nicht nur der SPD, sondern allen im Hockenheimer Gemeinderat vertretenen Parteien im kommenden Wahljahr sehr die Daumen, dass sie es wieder schaffen, die Bevölkerung für sich zu gewinnen: „Wir brauchen hier vor Ort keine ,Alternative’“, sagt sie nachdrücklich.
Dafür aber mehr Frauen im Gemeinderat. Die SPD sei da schon großartig aufgestellt, sodass sie Kollege Richard Zwick manchmal sogar ein bisschen mehr männliche Unterstützung bei so viel Frauenpower wünsche. Insgesamt aber sei der Gemeinderat noch weit entfernt von einer paritätischen Besetzung. Frauen seien sicher nicht per se die besseren Politiker, aber es sei bewiesen, dass geschlechtergemischte Teamarbeit die politischen Entscheidungen deutlich verbessert.
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