Schwetzingen. Die geplante Schließung der Schwetzinger Notfallpraxis beschäftigt die Menschen sehr. Robin Pitsch hat sich intensiv mit den Argumenten der Kassenärztlichen Vereinigung beschäftigt und folgende Betrachtung geschrieben. Er betont ausdrücklich, dass das seine persönliche Ansicht ist, nicht die der SPD, für die er im Gemeinderat sitzt.
Pitsch schreibt: Einen Glückwunsch muss man an die Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW) schon machen. Sie redet mit viel Relativierung, beschönigenden Vokabeln und – man muss es so deutlich sagen – Propaganda à la Donald Trump etwas in ihrer Presseerklärung schön, was nicht schönzureden ist. Letztlich geht es beim landesweiten Streichen des ärztlichen Bereitschaftsdienstes (Notfallpraxen) um eines der wichtigsten Gesundheitsangebote. Nicht etwa, weil alle Bewohner diesen Dienst ständig brauchen, nein, sondern weil es ihnen ein wichtiges Gefühl von medizinischer Sicherheit gibt. Gleichwohl ist die Praxis in Schwetzingen sehr gut frequentiert.
Ist das als Satire gedacht?
In der offiziellen Pressemitteilung der KVBW liest sich der Euphemismus des Kahlschlags so: „Die KVBW sichert damit eine erstklassige medizinische Versorgung im Bereitschaftsdienst.“ Und die Vizevorsitzende Doris Reinhardt lässt sich bei der Schließung von 30 Prozent aller Praxen im Land so zitieren: „Robust, zukunftsorientiert, qualitativ hochwertig und kooperativ wird die KVBW den Bereitschaftsdienst künftig aufstellen.“ Wer die Reduzierung des Angebots so beschreibt, sollte an keiner Stelle in irgendeinem System Verantwortung tragen! Wenn sich eine solche Aussage schon nicht als Lüge schimpfen lässt, dann als Satire, so Robin Pitsch.
Die Frage, wie das gehen soll liefert die KVBW nicht. Sie schwadroniert – abgeschaut im Standardwörterbuch für schlechte Nachrichten: „Uns ist bewusst, dass diese Maßnahme einen Einschnitt für die Bevölkerung bedeutet und teilweise mit längeren Fahrtwegen verbunden ist.“ Für den Rhein-Neckar-Kreis und die Menschen rund um die Notfallpraxen Schwetzingen und Eberbach ist das zwar kein Trost. Aber für die Bewohner der fortgeführten Praxen in Mannheim, Heidelberg, Sinsheim und Weinheim auch nicht, denn die müssen ja faktisch die anderen Patientenbesuche übernehmen. Über 14 000 Menschen sind das in der Notfallpraxis Schwetzingen im Jahr – oder eben knapp 39 Patienten pro Tag (oder eben Nacht). Das ist mindestens genauso viel oder sogar mehr, als die Notfallpraxis Heidelberg allein hat.
Interessant ist die reine Fokussierung auf die Erreichbarkeit durch die KVBW. Nämlich deshalb, weil sie Einwohnerstärke und damit die Frequentierung einer Notfallpraxis außer Acht lässt. So bekommen die Landkreise Zollernalb, Calw, Sigmaringen oder Waldshut – alles Landkreise zwischen 150 000 und 190 000 Einwohnern – jeweils eine eigene Notfallpraxis. Die Schwetzinger Praxis aber, die neben Plankstadt, Brühl, Ketsch und Oftersheim eben auch Wiesloch, Walldorf, die Waghäusler Gemeinden an der alten B 36 oder Hockenheim mit Reilingen und den beiden Lußheims und damit über 200 000 Menschen versorgt, wird geschlossen.
Frequenz in den Wartezimmern wird steigen
Der gesamte Rhein-Neckar-Raum mit Heidelberg und Mannheim, der über eine Million Einwohner allein auf baden-württembergischer Seite zählt, bekommt vier Notfallpraxen. Dabei wird die Frequenz in den fortzuführenden Praxen Mannheim, Heidelberg, Sinsheim und Weinheim, die die Menschen aus Eberbach und Schwetzingen aufnehmen müssen, steigen – ebenso die Wartezeiten für alle dortigen Patienten. Wieso wird nicht auch die Patientenanzahl zur Grundlage einer Praxis? So kann man nicht mit Menschen umgehen! Wer rechnet da? Wie rechnet er? Und warum so?
Wo sollen denn die Kapazitäten in den verbliebenen Städten sein? Zwar schreibt die KVBW vage, dass man Kapazitäten ausbauen wolle, wie, wo und mit welcher Intensität, das schreibt sie nicht. Obwohl diese Beschlüsse bei so einer Weichenstellung eigentlich feststehen und kommuniziert werden müssten. Wahrscheinlich eine Nebelkerze, die so auch nicht kommt – der Klassiker in prekärer außendarstellerischen Situationen.
„Wir halten die Maßnahme dennoch für vertretbar, zumal rein statistisch jeder Einwohner im Land den Bereitschaftsdienst nur alle paar Jahre einmal in Anspruch nimmt“, lässt sich der Chef der KVBW Karsten Braun zitieren. Natürlich hält er die Maßnahme für vertretbar, er ist ja prinzipiell gar nicht davon betroffen.
Aber wer ist denn eigentlich betroffen? Solche Entscheidungen werden ja nicht so gefällt, wenn Verantwortungsträger persönlich betroffen wären, denn dann wüssten sie, was es (nicht nur anhand des kalten Zahlenkatalogs ihrer Entscheidungsgrundlage) bedeutet. Eigentlich sind alle medizinischen Laien betroffen, die besonders am Wochenende in kritischen Zuständen nicht beurteilen können, ob sie ein Notfall sind oder nicht – und wo sie hinmüssen und können.
Der medizinische Bereitschaftsdienst ist daher auch in der Kombination an den Kliniken – wie in Schwetzingen – dazu da, wichtige medizinische Fragestellungen für die Patienten zu beantworten. Was habe ich genau? Was brauche ich? Was ist wie gefährlich? Diese Fragen müssen doch in akuten Fällen zeitig geklärt und erklärt werden. Da geht es auch immer um Psychologie, die Psyche und eben nicht immer primär um den medizinischen Index-Fall. Gerade die Kliniken, vor Ort die GRN-Klinik Schwetzingen, profitiert doch von der Beurteilung, wer ist Notfall, wer kann anderweitig medizinisch versorgt werden.
Das Vertrauen geht verloren
KVBW-Chef Braun sagt: „Uns ist bewusst, dass diese Maßnahme einen Einschnitt für die Bevölkerung bedeutet und teilweise mit längeren Fahrtwegen verbunden ist.“ Nein, ihm ist gar nichts bewusst. Er und die KVBW sind faktisch nicht betroffen. Er ist kein medizinischer Laie, anders als seine Patienten. Gerade deshalb ist der ärztliche Bereitschaftsdienst so nötig.
Was dem Herrn auch nicht bewusst ist, ist die Tatsache, dass jeder Patient, jeder Bürger natürlich die stetigen Teuerungen bei den Kassenbeiträgen spürt, genauso wie die damit einhergehende Streichung des Angebots. Dazu kommt, dass es trotz demokratischen Einsatzes seitens nahezu aller Parteien kein Regulativ gibt, der faktischen Einschränkung des ärztlichen Bereitschaftsdienstes entgegenzutreten. Entweder, weil die demokratischen Gremien keinen Einfluss haben, oder weil aufsichtsführende Minister keine Zuständigkeit sehen.
Was aber jeder – außer scheinbar die Akteure – sieht, ist, dass nicht nur das medizinische System noch mehr an Vertrauen verliert, sondern eben auch das politische. Wieso sollte man jemanden wählen, der als Abgeordneter, Minister oder hochrangiger Beamter nicht in der Lage ist, diesen Kahlschlag zu verhindern? Bürokratie hin, Juristerei her – viele Menschen sehen, dass jemand wie KVBW-Chef Karsten Braun, der für seine Vorstandstätigkeit rund 290 000 Euro jährlich verdient und faktisch keiner demokratischen Kontrolle unterliegt, und sein Verband – und eben keine Regierung und kein Parlament – die öffentliche Grundversorgung im Gesundheitsbereich ohne demokratische Gegendeckung einschränken darf. Wer soll in ein solches System noch Vertrauen haben?
Ja, es geht grundsätzlich darum, dass immer weniger Hausärzte immer mehr Patienten versorgen müssen. Ja, es geht darum, dass Hausarztpraxen keinen Nachfolger finden. Und Karsten Braun weist in der Mitteilung der KVBW darauf hin: „Wir müssen die Regelversorgung stabilisieren.“ Dann hat er aber erstens die Aufgabe, die schlechte Nachricht und die wohl unabwendbaren Schließungen beim Namen zu nennen und nicht „trumpistisch“ beschönigend herumzuschwurbeln. Und zweitens hat er viel mehr die Aufgabe, Lösungen zu finden, die eine Versorgung tatsächlich aufrechterhalten, denn das Medizinsystem ist zwar komplex, aber die eine oder andere kreative Idee darf man von KVBW-Vorständen in Zusammenarbeit mit Politikern schon erwarten. Einfach notwendige Praxen zu schließen ist zu einfach, so Pitsch.
Am besten in die Wüste schicken
Unstrittig zumindest sind die Mitteilungen seitens der betroffenen Kommunen und Patienten gegenüber der erst angekündigten und nun vollzogenen Schließung, die bei Unterschriftenaktionen mitgemacht haben: „Einschränkung“, „an den Bedürfnissen vorbei“, „Geld vor Patient“, „bitte nicht!“ – die Schließungen kommen nicht gut an und die Menschen sehen sich erneut – wie bei vielen Themen – vor den Kopf gestoßen.
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Schade, dass der KVBW-Vorstand nicht von seinen Patienten gewählt oder besser abgewählt oder noch besser in die Wüste geschickt werden kann. Zum Glück für die Vereinigung der Kassenärzte muss sich das Wording der KVBW-Propaganda keiner demokratischen Wahl stellen, obgleich sie das Vertrauen in das medizinische, soziale und demokratische System missbraucht und vertut. So schließt Robin Pitsch seine Stellungnahme.
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