Schwetzingen. Was seit über einer Wochen die Gemüter erhitzt, wurde nun am Montag auch offiziell verkündet. Die Kassenärztliche Vereinigung (KVBW) schließt landesweit weitere 18 Notfallpraxen – darunter auch die in Schwetzingen und zusätzlich entgegen ersten Erkenntnissen eine weitere in Tettnang. Das haben die Landesgeschäftsführer in Stuttgart bekannt gegeben.
Begleitet war die Pressekonferenz von einer großen Protestkundgebung von mehreren Hundert Betroffenen vor dem Sitz der KVBW in Stuttgart. Im Vorfeld hatten sich ja alle drei Landtagsabgeordneten aus dem Wahlkreis Schwetzingen gegen die Schließung ausgesprochen, auch Oberbürgermeister, Bürgermeister und Landräte aus dem ganzen Land hatten die Vorgehensweise der KVBW massiv kritisiert und Sozialminister Manfred Lucha dazu aufgefordert, die Pläne der KVBW zu stoppen. Dazu sieht der aber keine rechtliche Handhabe. Und er begrüßt die vorgeschlagene Neuordnung sogar.
Er sagt aber auch: „Ich erwarte und vertraue darauf, dass die KVBW bis Frühjahr 2025 den Übergang so gestaltet, dass die hausärztliche Versorgung außerhalb der Sprechzeiten in der Fläche erhalten bleibt und parallel die neuen Strukturen so aufgebaut werden, dass das Patientenaufkommen an den verbleibenden Standorten gut bewältigt werden kann.“
Das sagen Daniel Born (SPD), Andreas Sturm (CDU) und Andre Baumann (Grüne)
Nach der Bekanntgabe der Kassenärztlichen Vereinigung haben wir mit den drei Abgeordneten darüber gesprochen, was sie von den Plänen halten und ob und wie sie weiter dagegen vorgehen wollen. Für Daniel Born (SPD) ist klar: „Unsere Unterschriftenaktion gehet weiter. Es haben schon Hunderte Bürger unterschrieben. Hier im Wahlkreisbüro kommen ganze Familien vor Ort, um den Erhalt der Notfallpraxis Schwetzingen zu unterstützen. Wir wollen am Samstag mal einen Zwischenstand mit konkreten Zahlen bekannt geben.“
Für den Landtagsvizepräsidenten aus Schwetzingen ist klar, dass da noch nicht das letzte Wort gesprochen ist, auch wenn jetzt die KVBW keinen Deut von ihren ursprünglichen Plänen abgerückt sei. Für ihn sei das unverständlich, schließlich gebe es ja den gesetzlichen Auftrag, die ärztliche Versorgung zu sichern. Das können man nicht einfach wegen Personalmangel an Ärzten aufgeben. Er setzt da auch auf die Aussprache im Sozialausschuss des Landtages, die am Mittwoch auf dem Plan steht. Sozialminister Manfred Lucha sei derjenige, der die gesamte Gesundheitsversorgung im Land im Blick heben müsse.
„Die Schließung der Bereitschaftsdienstpraxen hat die Folge, dass der Rettungsdienst und die Notfallambulanzen der Krankenhäuser über Gebühr mehr belastet werden, denn die Notfälle verschwinden ja nicht“, sagt Born. „Es gibt ja auch innerhalb der Regierung Stimmen, die ihn dringend zum Eingreifen auffordern“, so der SPD-Abgeordnete. Er sieht seine Unterschriftenaktion übrigens als keine Parteiveranstaltung, sondern übergreifend. Das zeige ja auch, dass seine Abgeordnetenkollegen Andreas Sturm (CDU) und Andre Baumann (Grüne) ebenfalls für den Erhalt der Notfallpraxis in Schwetzingen eintreten.
Born: Vor Ort funktioniert es super
Besonders ärgert sich Born darüber, dass hier vor Ort eine funktionierende Zusammenarbeit zwischen Klinikambulanz und Bereitschaftsdienst zerschlagen werden soll, obwohl die KVBW genau das als Bedingung für den Erhalt angibt. Born war am Sonntag in Schwetzingen vor Ort und machte sich einen Eindruck von der Zusammenarbeit: „Es funktioniert ganz reibungslos. Die Übergabe der Patienten , die an der gemeinsamen Theke vorsprechen an die zuständigen Bereiche erfolgt schnell und fundiert. Da hat Schwetzingen schon vor Jahren genau den richtigen Weg beschritten“, meint Born.
Und schon heute laufe das System über, seien zu viele Notfälle am Wochenende zu behandeln. Er wolle gar nicht dran denken, wie das zukünftig wäre. „Da soll dann der Patient entscheiden, ob er ins Schwetzinger Krankenhaus oder in die Praxis nach Mannheim oder Heidelberg fährt. Die meisten werden sich fürs naheliegende entscheiden und dann explodiert das System an dieser Stelle“, so der Abgeordnete.
Baumann: Kämpfen für den Erhalt
„Das Vorgehen der Kassenärztlichen Vereinigung ist sehr unglücklich. Wir drei Abgeordnete setzen uns weiterhin für den Erhalt des Bereitschaftsdienstes in Schwetzingen ein, denn die Notfallpraxis gehört hier ins GRN-Klinikum. Auch weil die Ambulanz dort nicht noch zusätzlich belastet werden darf. Die Entscheidung der KVBW, gerade diese Notfallpraxis zu schließen, ist nicht nachvollziehbar“, sagt Dr. Andre Baumann von den Grünen.
Der Umweltstaatssekretär sieht natürlich auch das Demografieproblem bei den Hausärzten, verweist da aber auf die Maßnahmen des Landes, beispielsweise die Landarztquote in Baden-Württemberg. Und auf die missliche Lage, die durch ein Urteil des Bundessozialgerichts zur Sozialabgabenpflicht der Poolärzte entstanden sei: „Minister Lucha hat die Bundesminister Heil und Lauterbach schon früh auf die Problematik aufmerksam gemacht. Heil hätte eine Ausnahme genehmigen können, dann wäre es attraktiver für die Ärzte, die Dienste in en Bereitschaftspraxen zu machen. Und da muss ich auch deutlich sagen: Wenn ich die Diensthabenden sehe, dann sind das oft die älteren oder schon pensionierte Hausärzte, die im Einsatz sind. Die jungen Ärzte können sich aber vor dieser Verpflichtung nicht drücken“, sagt Baumann im Gespräch mit unserer Zeitung.
Minister Lucha habe nur die Rechtsaufsicht über die KVBW, nicht die Fachaufsicht, ihm seien die Hände gebunden. Die SPD-Kollegen müssten nach Ansicht von Baumann auf die zuständigen Bundesminister einwirken, die das Problem lösen helfen könnten. Das ändere aber nichts daran, dass man sich gemeinsam für den Erhalt der Notfallpraxis in Schwetzingen einsetze, weil die Kriterien der KVBW nicht stimmten. Man könne eben nicht einen kleinen Kreis mit 200 000 Einwohner mit dem gleichen Maß messen wie einen mit 500 000 hier bei uns. Zumal dann, wenn die beiden Großstadtpraxen Mannheim und Heidelberg auch schon überlastet seien und Mannheim noch halb Südhessen versorgen müsse. Notfälle machten eben nicht an der Landesgrenze halt.
Sturm: Wir wollen Zahlen sehen
Für Andreas Sturm (CDU), den wir virtuell in New York erreichen, ist es ein Unding, jetzt mit Telemedizin zu argumentieren. Natürlich sei man sich im Land einig darüber, dass dieser Zweig ausgebaut werden müsse, aber die Bürger seien halt einfach noch nicht so weit. Deshalb könne man die ambulante Versorgung nicht zurückfahren, wenn etwas Neues noch gar nicht aufgebaut wurde. „Ein Kollege aus dem Landtag hat ermittelt, dass der Rückgang der Hausbesuche in seiner Region zu einem drastischen Anstieg der Rettungsdiensteinsätze gesorgt hat, was ja alles viel teurer macht. Mir geht es vor allem um die Erreichbarkeit, die in Schwetzingen sehr gut ist, und um die Kapazitäten. Und die sind in Mannheim und Heidelberg eben nicht so, dass sie einfach noch die Schwetzinger Fälle zusätzlich abwickeln können. Das führt dann zur Überlastung des hiesigen Krankenhauses. Und bei den Krankenhäusern soll es ja auch noch Einsparungen geben. Außerdem fordere ich eine weitere Verstärkung der Fahrdienste, damit Patienten nicht vor Ort kommen müssen, sondern der Arzt zu ihnen kommt. Gerade die Versorgung der älteren Menschen muss uns das wert sein“, so Sturm weiter.
Er kommt zum Schluss: „Die Notfallpraxis in Schwetzingen muss weiter betrieben werden. Erst wenn konkrete Zahlen der KVBW auf dem Tisch liegen, die beweisen, dass die Kapazität nicht mehr gebraucht wird, weil die Patientenzahl zurückgeht oder die Telemedizin so viel auffängt, dass man eine Schließung in Betracht ziehen kann, dann kann darüber gesprochen werden. Letztes Jahr hat man uns vonseiten der KVBW Schwetzingen noch als landesweites Leuchtturmprojekt beschrieben und jetzt will man gerade hier schließen. Das ist doch grotesk.“
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Aber wie kann die KVBW davon überzeugt werden, dass die Schließung in Schwetzingen ein Fehler ist? Andreas Sturm sagt, dass die beiden Chefs am Dienstag in der CDU-Fraktion Auskunft geben werden, wie man denn zu diesen Schließungsergebnissen komme. Und die stellvertretende Vorsitzende sei auch im Sozialausschuss des Landtags am Mittwoch eingeladen, um Fragen der Abgeordneten zu beantworten. Das könnten die Bürgerinnen und Bürger per Stream aus dem Landtag mitverfolgen, so Sturm weiter.
Klagen in der Prüfung
Inzwischen prüfen einige Städte und Gemeinden, ob sie juristisch gegen die geplanten Schließungen vorgehen können. Das könnte auch für einzelne Ärzte ein Ansatzpunkt sein, denn die müssen ja weiterhin Bereitschaftsdienste leisten und das wird dann eben oft nicht mehr wohnortnah wie bisher geschehen können sondern bis zu 45 Minuten entfernt.
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