Schwetzingen/Brühl/Region. Für Dr. Hansjörg Roll ist es ein Glücksfall, dass in unserer Region Tiefengeothermie möglich ist: „Sie ist ein Schatz, den wir heben wollen.“ Roll ist Technischer Vorstand bei der MVV und hat sich intensiv mit dieser Art der Vorgehensweise zur Wärmegewinnung beschäftigt. Zusammen mit Annabell Feith, der Teamleiterin Kommunikation bei der MVV, war er auf Einladung unserer Zeitung zum Redaktionsgespräch bei uns in Schwetzingen und erläuterte, warum die MVV gemeinsam mit der EnBW als Geohardt GmbH auf Geothermie setzt und wie man den teilweise entstandenen Vertrauensverlust nach der Rüttelaktion zur Gewinnung von 3D-Seismik-Daten wieder zurückgewinnen möchte.
Welche Aufgabe hat aus Ihrer Sicht Erdwärme bei der Energiewende?
Dr. Hansjörg Roll: Die Energiewende wird von vielen Menschen noch als Stromwende verstanden – dabei geht es auch im großen Umfang um eine Wärmewende. Immerhin werden in Deutschland rund 50 Prozent der Endenergie für Wärmegewinnung aufgebracht. Deshalb hat sich die MVV als zweitgrößter Wärmeanbieter in Deutschland schon sehr früh darüber Gedanken gemacht, wie die Fernwärme der Zukunft mit regenerativen Energien aussehen kann. Bereits 2015 haben wir uns daher auf den Weg begeben, entsprechende Potenziale in der Region zu entwickeln. Immerhin versorgen wir hier etwa 160 000 Haushalte. Wir haben alle Techniken analysiert – Solarthermie abseits von Quartierslösungen fiel sofort weg, weil die großen Flächen, die dafür benötigt werden, hier zu teuer sind. Als ersten Schritt haben wir uns dann der thermischen Abfallbehandlung zugewandt, die mit dem Standort Friesenheimer Insel bis zu 30 Prozent der benötigten Fernwärme erzeugt und schon jetzt im Sommer das Fernwärmenetz vollständig versorgt. Zudem wird aktuell eine Flusswärmepumpe im Rhein auf dem Gelände des Großkraftwerks installiert, die im Herbst ans Netz gehen soll.
Wo ist da die Geothermie?
Roll: Auch da haben wir uns frühzeitig mit beschäftigt, weil wir im Deutschlandvergleich hier am Oberrhein einen wirklichen Schatz haben, den es zu bergen gilt. Die Geothermie trägt zur Versorgungssicherheit bei und ist am Ende auch für die Kundinnen und Kunden bezahlbar. Zugleich sehen wir in der Geothermie eine sichere Technologie, weshalb wir uns zusammen mit der EnBW 2019 um die Rechte im 270 Quadratkilometer großen Gebiet Hardt hier in der Region beworben haben. Da sehen wir eine wirkliche Perspektive.
Wie ist das möglich, wenn Ihnen noch keine konkreten Daten vorlagen und Sie erst die 3D-Seismik erstellen mussten?
Roll: Wir konnten auf bestehende Daten aufbauen. Doch gab es im nördlichen Teil des Gebiets noch keine vollständige Datenlage. Deshalb mussten wir jetzt auch die Messungen mit den Rüttelfahrzeugen durchführen. Diese Daten zusammen mit den vorhandenen geben uns einen tiefen Einblick in den Untergrund, wo wir die entsprechenden natürlichen Reservoire von Thermalwasser haben und poröse sowie durchlässige Schichten nutzen können, ohne erst künstliche Reservoire durch Verstärkungsmaßnahmen schaffen zu müssen. Die 3D-Seismik mit Rüttelfahrzeugen ist da ein Standardverfahren, das schon oft eingesetzt wurde. Dafür gibt es klare Grenzwerte – wir haben in 80 Prozent unserer Messungen sogar die strengen Grenzwerte für besonders erschütterungsempfindliche Bauten, also zum Beispiel denkmalgeschützte Gebäude, unterschritten. 20 Prozent lagen im Bereich für normale Wohngebäude – aber da können eigentlich erfahrungsgemäß bei Normalbebauung und Industriearealen keine Schäden entstehen.
Wie haben Sie die Bürger angesprochen, um zu erklären, was bei der 3D-Seismik passiert?
Roll: Wir hatten öffentliche Veranstaltungen durchgeführt, bei denen wir die Geräte vorgestellt haben, außerdem Presseveröffentlichungen und wir haben Flyer verteilt. Ziel war es, allen Anwohnern mitzuteilen, was wo passieren wird. Leider hat das mit der Flyerverteilung nicht so geklappt, wie wir es bei einem Dienstleister beauftragt hatten. Vielleicht hätten wir die Medien noch stärker einbeziehen sollen, aber auch dann wäre es wohl nicht vollständig zu verhindern gewesen, dass unsere Teams auf überraschte Anwohner getroffen wären.
Warum musste überhaupt innerhalb der Kommunen gerüttelt werden, Sie bauen doch Geothermieanlagen sicherlich nicht innerorts?
Roll: In besonders sensiblen Bereichen mit denkmalgeschützten Häusern oder sensiblen Rohrleitungen haben wir auf den Einsatz der Fahrzeuge verzichtet. Da können wir dann aufgrund der anderen Daten Hochrechnungen erzeugen. Aber wir wollten eben schon einen möglichst vollständigen und genauen Überblick über den Untergrund in der Region gewinnen – und das war nur durch diese Art der Datenerhebung möglich.
Aber am Ende gab es eben doch zahlreiche Beschwerden. Wie viele Schadensmeldungen liegen Ihnen vor und wie viele sind inzwischen bereits bearbeitet?
Roll: Es gibt verschiedene Kategorien von Schäden. Beispielsweise wenn Personen und Fahrzeuge bei der 3D-Seismik auf Grundstücken und Feldern Spuren hinterlassen haben, dann wurde das inzwischen bereits alles mit Landwirten und Kommunen geklärt. In Plankstadt und Oftersheim sind wir auch über Schäden auf öffentlichen Wegen im guten Einvernehmen. Von Privatleuten sind 122 Schadensmeldungen bei uns eingegangen. 70 Fälle sind bearbeitet. Davon haben wir 23 inzwischen abgelehnt – teils weil sie aus Straßen kamen, in denen wir gar nicht unterwegs waren. Darunter war sogar ein Kraftfahrzeug, das wir angeblich beschädigt haben sollen, in einer Straße, in der unsere Fahrzeuge gar nicht durchgefahren sind. In 47 Fällen haben wir den meldenden Einwohnern ein Kulanzangebot gemacht, obwohl wir dort die Grenzwerte nicht überschritten hatten. In zwei Fällen lagen wir oberhalb, da übernimmt unser Dienstleister die Schäden natürlich. 50 Fälle sind noch in Klärung, da sind die Gutachter noch unterwegs. Wir klären die Fälle zügig, noch vor dem Sommer. Und in jedem Fall bekommen die Bürger ein Schreiben von Geohardt mit einer Begründung, warum bezahlt wird oder nicht und warum wir die Verantwortung in einzelnen Fällen ablehnen. Die derzeit gemeldeten Schäden, bei denen wir aus Entgegenkommen ein Angebot machen, liegen meist bei Werten zwischen 250 und 600 Euro – auffällig ist aus meiner Sicht, dass es in Brühl und Schwetzingen zu einer Häufung von Schadensmeldungen gekommen ist.
Wie erkennen Sie und die Gutachter, ob Risse in Häusern durch die Rüttelfahrzeuge entstanden sind oder eben schon da waren?
Roll: Das kann man zum einen durch die Entfernung zwischen den Einsatzorten und den geschädigten Häusern erkennen. Zum anderen sind wir vorher mit Kamerafahrzeugen durch die Orte gefahren und haben bereits im Vorfeld vorhandene Schäden aufgezeichnet. Da können wir in einem Abgleich der Bilder von vorher und nachher schon viele gemeldete Schäden als alt erkennen. Das ist dann eindeutig nicht unsere Verantwortung gewesen.
Wieso werden von den Einwohnern dennoch Risse gemeldet?
Roll: Es gibt immer verschiedene Gründe, warum Risse auftreten. Manchmal sind sie schon älter, aber erst durch unsere Untersuchungen und die Diskussion darüber, gibt es eine verschärfte Wahrnehmung von solchen Problemen. Dafür habe ich vollstes Verständnis. Man sieht einen Riss und meint, er liege in unseren Messungen begründet. Dem ist aber nicht unbedingt und immer so.
Wer begutachtet diese Schäden?
Roll: Es sind Bausachverständige, die gut erkennen können, wie alt der Riss ist und ob und wie man ihn instand setzen muss. Nach diesen Bewertungen richten wir uns.
Der große Vorteil der Geothermie ist: Sie kann Energie klimaneutral erzeugen.
Es wird derzeit von drei Standorten für Geothermieanlagen im Gebiet Hardt gesprochen – welchen Anteil an der benötigten Wärmeenergie würden die haben?
Roll: Dazu muss ich zunächst erklären, dass wir die Versorgung mit Wärmeenergie mit verschiedenen Techniken über mehrere Standorte im Netz verteilt planen. Für die Spitzenlast, also den Zeitraum, wenn schnell besonders viel Energie benötigt wird, gibt es zwei Kesselanlagen, die perspektivisch mit Biomethan befeuert werden. Ab 2030 soll dort Wasserstoff eingesetzt werden. Diese Anlagen sind günstig in der Investition, allerdings verursachen sie im Einsatz hohe Betriebskosten. Die Grund- und Mittellast wird derzeit schon über die thermische Abfallbehandlung gespeist und bei der sollen künftig die geothermischen Anlagen zum Tragen kommen. Zudem gibt es dann noch die Flusswärmepumpen – eine Technik, die in den nächsten Jahren weiter ausgebaut werden könnte. Zusammen sollen so das ganze Jahr über kontinuierlich 2300 Gigawattstunden Energie erzeugt werden. Davon soll ein Drittel aus der Geothermie kommen. Welche Anlagen wann laufen, das hängt dementsprechend von den jeweiligen äußeren Bedingungen ab. Die grundlastfähige Erdwärmenutzung soll und muss also nicht allein reichen, um das komplette Fernwärmenetz zu versorgen.
Ist die Tiefengeothermie denn aus Ihrer Sicht wirklich sicher?
Roll: Man kann sie sicher betreiben, wenn man es richtig macht – würde die Gefahr bestehen, dass es nicht funktioniert, dann würde unser Portfolio anders aussehen. Der große Vorteil der Geothermie ist: Sie kann Energie klimaneutral erzeugen.
Ist dabei auch an die Gewinnung von Lithium gedacht?
Roll: Die Region weist als absolute Besonderheit auch in diesem Bereich ein großes Potenzial für die Zukunft auf. Deshalb haben wir dieses Thema auch bei der Aufsuchungserlaubnis mit beantragt. Ob es allerdings in perspektivisch fünf bis zehn Jahren zur Lithiumgewinnung kommen wird, ist derzeit noch unklar und steht bei uns auch nicht im Vordergrund, so wie das bei anderen geplanten Anlagen und deren Betreibern der Fall ist.
Im Brühler Gemeinderat ist gefordert worden, eine Verfüllung der beiden vorhandenen Bohrungen der einst geplanten Geothermieanlage zu prüfen – wie bewerten Sie das?
Roll: Es gibt dort auf einer kommunalen Fläche eine fündige Bohrung, das ist die Voraussetzung für einen guten Geothermie-Standort. Aber wir werden das Thema einer Nutzung dort nicht anpacken, solange der Gemeinderat so ablehnend positioniert ist, wie es sich derzeit darstellt. Man muss aber auch sachlich feststellen: In Brühl ist technisch nichts Negatives bei den Bohrungen passiert – es gab lediglich einen politischen Stimmungswandel und Probleme bei der damaligen Betreibergesellschaft. Es gab weder ein Erdbeben noch technische Probleme.
Sie spüren doch in unserer Region Gegenwind. Auf der anderen Seite werden Sie stark aus dem grünen Teil der Landesregierung unterstützt – in Person von Staatssekretär Andre Baumann. Warum ist Geothermie Ihnen so wichtig?
Roll: Wir setzen nicht ausschließlich auf Geothermie, sondern auf einen breiten Mix aus der Abfallbehandlung, einem Altholzkraftwerk, aus großen Wärmepumpen und eben auch aus der Tiefengeothermie. Wir sollten uns klarmachen, dass wir hier in unserer Region einen großen Vorteil haben. Wenn es uns gelingt, Geothermie zu nutzen – und man kann sie sicher betreiben, das versichere ich Ihnen – dann werden auch die Wirtschaft und die Privatkunden davon profitieren. Im Unterschied zu anderen Privathaushalten können die Bezieher von Fernwärme von einem Tag auf den anderen grün heizen. Sie müssen keine Entscheidung darüber treffen, welche Technik sie kaufen und installieren lassen müssen, sie bekommen quasi die Wärmewende ins Haus geliefert. Es gibt bereits Kommunen, die das erkannt haben. So will Graben-Neudorf ein eigenes Fernwärmenetz bauen, das mit Geothermie betrieben werden soll. Das könnte beispielsweise auch hier eine Gemeinde oder etwa die Stadt Hockenheim tun, dann wären wir sicherlich auch bereit, darüber zu sprechen, auch dort eine Geothermieanlage zu bauen. Wir sind für Gespräche offen. Neben dem Oberrheingraben eignen sich nur die Norddeutsche Tiefebene und die Region München für diese Art der Energiegewinnung, das sollten wir nicht verteufeln, sondern für unsere Zukunft nutzen.
Wann könnte denn die erste Anlage ans Netz gehen?
Roll: Die Auswertung aller Daten läuft auf Hochtouren und im Herbst können wir sagen, wo geeignete Standorte wären. Dann muss berg- und baurechtlich alles geklärt werden und wir müssen erfolgreich bohren. Was ich jetzt sage, ist sehr sportlich, aber 2026 könnte die erste Geothermieanlage ans Netz gehen.
Und wenn es schiefgeht und es kommt zu Schäden?
Roll: Hier gilt das Bergrecht, das heißt, dass der Betreiber nachweisen muss, dass er nicht verantwortlich ist für etwaige Schäden. Aber wir sind und bleiben doch hier vor Ort. Die MVV ist ein Unternehmen mit Sitz in Mannheim und einer 150-jährigen Geschichte, wir werden doch nicht einfach so entschwinden. Und bei unserem Partner EnBW ist das genauso. Wenn wir nicht sicher wären, dass es funktioniert, dann würden wir das nicht machen, wir leben doch mit unseren Familien selbst vor Ort.
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