Brühl. Es sei sehr schön und gemütlich hier,„die Natur ist so nah“, sagt Svitlana Bryk. Sie hätten so viele Menschen kennengelernt, die sie herzlich empfangen und ihnen geholfen hätten. „Es ist alles sehr gut organisiert“, lobt sie die Unterstützung durch die Gemeinde. Wenn sie mit ihrem Partner Petro Protsiuk von ihrer neuen Heimat Brühl erzählt, gerät sie ins Schwärmen, die Mundwinkel des Paares sind dabei hochgezogen. Die beiden Ukrainer wirken froh, fast unbekümmert.
Nach ihrer Ankunft in der Hufeisengemeinde im Juli 2022 seien sie zunächst für ein Jahr im Brühler Hof untergekommen, erzählt Irina Haas-Ritter. Als Sprachmittlerin der Gemeinde hilft sie Bryk und Protsiuk auch im Gespräch mit dieser Zeitung bei der Übersetzung. Zur Grundausstattung im Brühler Hof gehörte auch ein Fernseher. Zwischen den ukrainischen Sätzen von Svitlana Bryk fällt der Begriff „Tagesschau“. Dadurch hätten sie anfangs deutsch gelernt, sagt sie. Im Gespräch kann die 57-Jährige einfache Fragen selbst beantworten, in allen anderen Fällen unterstützt die Übersetzerin. Sprachniveau B1 besitze sie in Deutsch bereits, einen Kurs für B2 belege sie demnächst, sagt sie stolz.
Denn Svitlana Bryk möchte so schnell wie möglich eine Arbeitsstelle antreten. Das entsprechende Sprachniveau sei die Voraussetzung dafür. Ihr ist bewusst, dass deutsche Bürger aktuell für ihren Lebensunterhalt arbeiten müssten und Steuern zahlten. Sie versteht die Funktionsweise des Sozialstaats und zeigt sich immer wieder dankbar dafür.
Wunsch nach Arbeit bei ukrainischem Paar in Brühl
In der Heimat habe Bryk als Teamleiterin in einem Kindergarten über drei Jahrzehnte Erfahrung in diesem Bereich gesammelt, Kindern das Lesen, Schreiben und Rechnen beigebracht. Auch jetzt möchte die Frau mit dem Kurzhaarschnitt und der eckigen Brille wieder als Erzieherin arbeiten. Aktuell lässt sie ihr ukrainisches Diplom anerkennen. Wenn es nach ihr ginge, wäre sie bis dahin in einer Kinderkrippe tätig. Dort sei die deutsche Sprache schließlich nicht ganz so wichtig wie in einer Tagesstätte.
Das gilt auch für die Anstellung ihres Lebenspartners. Petro Protsiuk ist in Brühl auf Minijobbasis als Schlosser beschäftigt. Bei seinem Arbeitgeber gebe es Angestellte vieler verschiedener Nationen, wie er erzählt. Im handwerklichen Bereich sei Protsiuk in der Heimat ebenfalls tätig gewesen – und das seit seinem 17. Lebensjahr. „Ich habe jeden Tag meines Lebens gearbeitet“, sagt der Ukrainer. Es ist ihm anzusehen. Seine Hände sind gezeichnet von jahrelanger handwerklicher Arbeit. Er sei es nicht anders gewohnt und will das beibehalten – trotz seiner 67 Jahre. Ein Arbeiter eben.
Deutsch spricht er deutlich weniger als seine Lebensgefährtin. In größerem Umfang erforderlich ist das für seine Arbeit, bei dem ihm die vielen spezifischen Werkzeuge für alle möglichen Belange und die penible Arbeitssicherheit beeindrucken, nicht unbedingt. „Arbeit ist Arbeit“, sagt der 67-Jährige pragmatisch. Mentalität und Arbeitsweise seien vergleichbar, er sei sehr gut aufgenommen worden und fühle sich akzeptiert. Aber wie hat er den Job mit solche geringen Sprachkenntnissen überhaupt gefunden? Er habe den regelmäßigen Trubel aus Lieferungen und Mitarbeitern am Gelände der Firma mehrfach beobachtet und eines Tages einfach nachgefragt, ob sie Unterstützung bräuchten, schildert Protsiuk.
Sogar Bürokratie ist in Ukraine bekannt
In ihrer neuen Heimat fühlen die beiden sich sichtlich wohl, sehen „viele Ähnlichkeiten“ zwischen der Ukraine und Deutschland, etwa bei den Familientraditionen. Sogar über die deutsche Bürokratie können sie lachen. „In der Ukraine gibt es auch viel Bürokratie, viele Dokumente“, sagt Petro Protsiuk in gebrochenem Deutsch. Die deutschen Tugenden wie Pünktlichkeit und Ordnung seien ihm schon aufgefallen.
Bryk und Protsiuk sind regelmäßige Besucher des monatlichen Café Kontakt, bei dem in der Festhalle Flüchtlinge mit Brühlern in Kontakt kommen, erzählt Irina Haas-Ritter, die gemeinsam mit Marsha Figueroa für das Flüchtlings- und Integrationsmanagement der Gemeinde verantwortlich ist. Mit dabei haben sie oftmals ukrainische Spezialitäten. Durch die so geschlossenen Bekanntschaften hätten sie „alles bekommen, was man zum Leben braucht“, sagt Svitlana Bryk. Ob Kleidung, Haushaltswaren oder Elektrogeräte wie eine Mikrowelle. Verschiedene Privatpersonen hätten ihnen mehrfach unter die Arme gegriffen. Mit ihrem Vermieter verstünden sie sich so gut, er sei „wie eine zweite Familie“.
Den Bediensteten im Brühler Rathaus und allen Bürgern der Gemeinde möchten sie ihre tiefe Dankbarkeit für ihre Hilfe und Herzlichkeit aussprechen. Das betont Svitlana Bryk wieder und wieder.
Ein Monat Überlebenskampf in Mariupol
Diese Dankbarkeit ansatzweise einzuordnen gelingt, sobald die beiden von ihrer Flucht aus der Ukraine erzählen. Denn sie nannten einst Mariupol ihr Zuhause. Die Hafenstadt im Südwesten der Ukraine liegt nur unweit von der russischen Grenze und war eines der ersten Ziele des Angriffskriegs. Mit über 400.000 Einwohnern zählte die Industriemetropole zu den größten Städten des Landes. Es sei eine lebhafte Stadt mit vielen Veranstaltungen gewesen, erinnert sich Svitlana Bryk. „Die Promenade war sehr schön.“
„Heute ist dort, wo wir gewohnt haben, alles zerstört“, sagt ihr Partner. Die zuvor heiteren Mienen weichen Bedrücktheit. Freudige Gesichtszüge erstarren. Am 24. Februar 2022 hatte der Krieg begonnen, am 21. März verließen sie die Stadt. Die Daten haben sie noch genau im Kopf. Als Hölle von Mariupol stand die Stadt im März 2022 immer wieder in den Schlagzeilen. Bis heute wurden rund 80 Prozent der alten Heimat von Bryk und Protsiuk in Schutt und Asche gelegt. „Ich kann bis heute nicht fassen, wie wir da rausgekommen sind“, sagt die 57-Jährige.
Einen Monat harrten sie in ihrer Wohnung aus, waren eingesperrt. Ohne Strom, ohne Wasser, ohne Heizung. Kochen oder Duschen? Nicht möglich. Hinzu kam klirrende Kälte: Es war der kälteste März in Mariupol, an den sie sich erinnern können. Minus 10 Grad seien es tagsüber gewesen, nachts gar minus 20. „Normalerweise blühen im März die ersten Maiglöckchen“, veranschaulicht Bryk.
Eine Schule des Überlebens in der Ukraine
In der Umgebung ihrer Wohnung hätte es eine Art Bunker gegeben. Er wäre sicherer gewesen als die eigenen vier Wände. „Aber wegen der Bombardierung konnte man nicht auf die Straße“, erinnern sie sich. Hausbewohner starben im Keller, Tote lagen auf den Straßen vor dem Gebäude. „Es kam keiner, um sie zu holen.“ Die Stadt war von Putins Armee besetzt worden.
„Das Schlimmste war, dass man keine Infos bekommen hat“, so Protsiuk. Die einst so lebendige Hafenstadt war von der Außenwelt abgeschnitten. „Ich habe Flugzeuge über meinem Kopf gesehen, Feuer und Rauch“, schildert seine Lebenspartnerin eindrücklich. Sie hält inne. Schwermut legt sich über den Raum. Für das Gesehene, Erlebte sucht sie nach den richtigen Worten. „Es ist schwer zu beschreiben, wenn man es nicht selbst gesehen hat. Es ist so schlimm, furchtbar.“ Wie haben die beiden den Krieg in einer Stadt überlebt, in der der Krieg sein hässlichstes Gesicht gezeigt hatte? „Das wissen wir selbst nicht“, sagt sie mit starrer Miene. „Es war eine Schule des Überlebens.“
Um dem fast sicheren Tod zu entgehen, mussten die beiden das Wohnhaus irgendwann verlassen. Es brannte, fiel zum Zeitpunkt der Flucht langsam in sich zusammen. Nur mit dem Nötigsten bepackt liefen sie zu Fuß rund einen Kilometer zum nächsten Krankenhaus. Von dort hätten sie russische Soldaten aus der Stadt gebracht. Ein Verwandter fuhr sie mit dem Auto zur nächstgelegenen Hafenstadt am asowschen Meer, Berdjansk.
Ukrainisches Paar in Brühl: „Wussten nicht, wohin es geht“
In Berdjansk sollten sie in einen Reisebus steigen, das Rote Kreuz habe den Transport organisiert. Sieben Busse seien für 600 Menschen bereitgestanden. „Wir wussten nicht, wohin es geht“, ergänzt Protsiuk. Der überfüllte Bus führte sie nach Saporischschja, damals Grenzgebiet zur russisch besetzten Ukraine. Für rund 100 Kilometer seien sie zwei Tage lang gereist. Neben der zerstörten Infrastruktur wurden unzählige Personenkontrollen durchgeführt. Immer wieder habe der Bus halten, Männer und Frauen sich in Eiseskälte außerhalb aufstellen müssen. Junge Ukrainer durften das Land während des Krieges nicht verlassen, Protsiuk kam sein Alter zugute. Aus der sechstgrößten Stadt des Landes fanden sie nach rund zwei Wochen den Weg über Polen nach Deutschland.
„Hier würden wir gerne bleiben“, sagen die beiden. „Wir haben uns ein bisschen was aufgebaut.“ Ihre alte Heimat Mariupol hingegen, tief im Südwesten des Landes, wird heute von Russland kontrolliert. Die Wohnung ist zerstört, Arbeit würden sie dort keine mehr finden und Hilfe gebe es ohnehin keine. „Es gibt nichts mehr, wo wir hingehen könnten“, schließt Petro Protsiuk.
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