Hockenheim. Es muss wie blanker Hohn klingen, wenn ein Arbeitgeber neue Auszubildende beim „besten Arbeitgeber der Welt“ begrüßt, während gleichzeitig 64 Erzieherinnen und Erzieher um ihren Job genau bei diesem Dienstherrn bangen. Denn auch wenn ihnen bei einer Personalversammlung im Juli versprochen worden war, dass sich nichts für sie ändern würde, verlieren sie möglicherweise schon bald ihren vermeintlich sicheren Arbeitsplatz bei der Stadt Hockenheim und werden in einer „Inhouse Vergabe“ zwangsweise zu einem neuen Arbeitgeber übergehen müssen und damit bei einem freien Träger angestellt sein.
Einverstanden sind die pädagogischen Fachkräfte damit mit sehr wenigen Ausnahmen überhaupt nicht, war ihnen doch bei Umsetzung des Kooperationsvertrags der Stadt mit dem Postillion 2021 zugesichert worden, bis zur Rente bei der Stadt Hockenheim angestellt zu bleiben.
Wortbruch will Oberbürgermeister Marcus Zeitler aber nicht begangen haben, er sieht die Nichteinhaltung seiner Zusage als Ergebnis geänderter gesetzlicher Vorgaben an: „Die gegebene Zusage bezog sich auf das Kooperationsmodell. Die Rahmenbedingungen wurden durch den Bund geändert.“ Die geänderte Ausgangslage bedürfe einer geänderten Handlungsweise, führt der Oberbürgermeister auf Anfrage weiter aus.
Dass die Zusage an Bedingungen geknüpft sein würde, davon hören die Erzieherinnen und Erzieher nun jedoch zum ersten Mal und in ihren Augen hätte die Empfehlung der Stadtführung lauten müssen, dass die drei Einrichtungen zurück an die Stadt gehen, wenn die Kooperation in der aktuellen Form nicht fortgesetzt werden kann.
Fachkräfte haben sich bewusst für die Stadt Hockenheim entschieden
„Wir haben uns bewusst für die Stadt Hockenheim als Arbeitgeber entschieden und wollen dort auch bleiben“, beklagen die pädagogischen Fachkräfte im Vorgehen der Stadt auch mangelnde Wertschätzung ihrer bisherigen Tätigkeit. Sollte es zum Betriebsübergang kommen, sehen sie die Gefahr, dass sich viele Kolleginnen entscheiden könnten, einen anderen Weg zu gehen.
„Wir haben uns bewusst für die Stadt Hockenheim als Arbeitgeber entschieden und wollen dort auch bleiben“
Auswirkungen hätte das sowohl auf die Einrichtung, in der möglicherweise mehrere Stellen neu besetzt werden müssen, vor allem aber wohl auch auf die betreuten Kinder, die vertraute Betreuungspersonen verlieren. Dass die Kooperation nicht fortbestehen kann, begründen die Verantwortlichen mit gesetzlichen Änderungen und Neuerungen in den Paragraphen 45 und 45a des Sozialgesetzbuches VIII, denen zufolge ein Einrichtungsträger sein Personal vollumfänglich verantworten muss und damit eine gemeinsame Trägerschaft im Rahmen einer Kooperation nicht mehr möglich ist.
Vorgenommen wurden diese bereits 2021 und damit kurz nach Anlaufen der Kooperation und keineswegs erst kürzlich, wie von der Stadt in vielen Begründungen angegeben. Die bisherige Kooperation mit dem Postillion hatte Stefan Lenz, der seit 1985 Geschäftsführender Vorsitzender des gemeinnützig tätigen Vereins ist, zufolge vor allem darin bestanden, frei werdende Stellen ebenso wie FSJ-Stellen und Ausbildungsplätze zu besetzen, zudem waren die Einrichtungen aufgrund eines Lenz zufolge vorhandenen Mehrbedarfs mit weiteren Fachkräften unterstützt worden.
Das in Hockenheim umgesetzte Konzept „Kita im Sozialraum“ baut dabei auf Erfahrungen aus Schönau, der vorherigen Wirkungsstätte Marcus Zeitlers, auf, wo es seit 2018 entwickelt wurde und es scheint insbesondere im Kindergarten Albert-Einstein-Straße, einer rein Postillion-eigenen Einrichtung zum Einsatz gekommen zu sein.
Schnelle Verstärkung für stadteigene Erzieher in Hockenheim
Aktuell kommen so zu den 64 stadteigenen Erzieherinnen und Erziehern elf Fachkräfte sowie jeweils zwei FSJler und zwei Erzieher in Ausbildung hinzu, die der Postillion zur Verfügung stellt. Leicht scheint es dabei auch der vor allem im Rhein-Neckar-Kreis aktive Träger mit über 700 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern nicht zu haben, Personal zu finden.
Zwar konnten innerhalb von sechs Monaten 80 neue Mitarbeitende für die Postillion-Einrichtungen der gesamten Region gefunden werden, hohe Krankenstände und demografischer Wandel erschweren jedoch die Lage. Inklusion und Zuwanderung wiederum sorgen für einen höheren Personalbedarf und auch die Frage, wie Personal gehalten werden kann, beschäftigt den Träger, wie aus dem Protokoll der öffentlichen Beiratssitzung im Mai hervorgeht.
Aktuell listet der Verein in seinem Stellenportal für die Hockenheimer Kindertageseinrichtungen fünf freie Posten, darunter einen in einer bisher kommunalen Einrichtung. Aus einer Einrichtung ist von einer Mutter zu erfahren, dass von vier seit 2021 neu eingestellten Postillionkräften im Ganztagesbetrieb schon drei wieder gekündigt haben. Die Fluktuationstendenz größerer freier Träger fürchten insofern auch Eltern.
Noch kein Ratsbeschluss in Hockenheim
Während Oberbürgermeister Marcus Zeitler unserer Zeitung gegenüber äußert, dass der Gemeinderat die Abgabe an einen freien Träger erst noch beschließen müsse und auch nicht entschieden sei, wer dieser Träger „dann am Ende sein wird“, kommunizierte der OB das am vergangenen Dienstag gegenüber den Eltern, deren Kinder aktuell eine der drei kommunalen Einrichtungen besuchen, schon entschiedener. Heißt es doch in einer Elterninformation, man habe sich entschieden, „einen Betriebsübergang zu einem großen, freien Träger anzustreben“.
Wer dieser freie Träger sein wird, steht zwar offiziell nicht fest und eine Aussage hierzu wird auch in der Information an die Eltern umgangen. Dass der Postillion jedoch eine nicht unwesentliche Rolle spielen dürfte, zeigt sich daran, dass dieser sowohl bei der Personalversammlung im Juli vertreten war, als auch weiter am Prozess beteiligt zu sein scheint, wenn es, wie Stefan Lenz es ausdrückt, darum geht, „das Ganze in gute Wege zu leiten“.
„Keine Mitarbeiterin und kein Mitarbeiter verliert seinen Arbeitsplatz.“
„Keine Mitarbeiterin und kein Mitarbeiter verliert seinen Arbeitsplatz“, sichert Marcus Zeitler unserer Zeitung gegenüber zu und verweist auf klare Regelungen des Betriebsübergang im BGB und einen sehr hohen Schutz der Mitarbeiter. Großen Einfluss und Tarifgebundenheit werde sich die Stadt auch weiterhin sichern und zudem „jedem aber zusichern, dass er oder sie im Falle, dass ein eventueller neuer Träger die Kita wieder aufgibt oder abgeben muss, wieder bei der Stadt angestellt wird“.
Verbundenheit und Sicherheit durch die Stadt blieben erhalten, sagt Zeitler. Genau diese Sicherheit vermisst das betroffene Personal jedoch aktuell, stattdessen löse die Situation bei den Betroffenen nach eigenen Angaben „sehr große Verunsicherung und Bedenken“ aus. Es sei unklar, was bei den Verhandlungen herauskomme und ob Dinge, die im Rahmen der Kooperation möglich gewesen waren, Bestand haben.
Dass „der Wechsel im besten Interesse unserer Kinder“ sein und deren Wohl dienen soll, wie es in der Elterninformation heißt, wagen viele Erzieherinnen und Erzieher, aber auch unzählige Eltern zu bezweifeln, fürchten sie doch, dass ein größerer Träger mehr Fluktuation und damit die Gefahr häufigerer Wechsel mit sich bringen könnte.
Weniger Konstanz befürchtet
Diese bedeuten für die Kinder weniger Konstanz und Sicherheit und bringen zudem Unruhe in die gewohnten Abläufe, wenn immer wieder neu eingearbeitet werden muss. Vertretungskräfte und Personal, das die Einrichtung nach kurzer Zeit wieder verlässt, könne keine Elterngespräche oder Portfolios führen, selbst Aufräumen und Nachbetreuung fielen schwer, wenn Kinder und Abläufe nicht bekannt sind. Das wiederum erschwert dem Stammpersonal den Alltag.
„Wer einmal da ist, bleibt“, zeugt dagegen das aktuelle Hockenheimer Personal von großer Konstanz. Immer wieder tauchen Erzieherinnen unter den für langjährigen Einsatz geehrten Mitarbeitern der Stadt auf und halten ihrer Einrichtung seit Jahrzehnten die Treue.
Wie sehr die Stadt Hockenheim den Erzieherinnen und Erziehern als Arbeitgeber am Herzen liegt, zeigt die Tatsache, dass viele von ihnen schon vor Wochen die Eigeninitiative ergriffen und sich persönlich oder schriftlich an einzelne Fraktionsmitglieder wandten oder den Kontakt zur Stadtspitze suchten und hoffen, dass ihre Arbeitsverträge weiterhin wie ursprünglich zugesagt über die Stadt Hockenheim laufen.
Sorge um Teams und Dienstorte
Denn abgesehen von der Sicherheit, die die Stadt als Arbeitgeber gegenüber einem freien Träger mit sich bringt und für die sie sich bei der Einstellung bewusst entschieden hatten, bangen die teilweise seit Jahrzehnten im Dienst der Stadt stehenden Erzieherinnen auch um ihre jeweiligen gut eingespielten Teams, um den weiterhin auf ihre eigene Einrichtung beschränkten Einsatz, um finanzielle Aspekte.
Dass die Bemühungen des früheren Oberbürgermeisters Gustav Schranks, mit der Installation kommunaler Kindergärten als Ergänzung zu den vorhandenen kirchlichen Angeboten und damit die Übernahme von Verantwortung für Kinder und Jugendliche nun in der Abgabe an einen freien Träger und damit auch von Verantwortung enden sollen, stößt nicht nur vielen Erzieherinnen, sondern auch vielen Eltern sauer auf.
So hat auch Elena Heidenreich als Vorsitzende des Gesamtelternbeirates der Hockenheimer Kindertageseinrichtungen kein Verständnis für das Vorgehen der Stadt und kämpfte lange um die Beantwortung ihrer Fragen zur Thematik, die ihr mehrfach mit Verweis auf nicht öffentliche Informationen verwehrt wurden.
„Wenn man Dinge geheim hält, anstatt sie transparent darzustellen, muss man mit Widerstand rechnen.“
Dabei hätte sie nach den landesrechtlichen Richtlinien über die Bildung und Aufgaben der Elternbeiräte durchaus Anspruch auf Informationen gehabt, heißt es doch da, dass der Elternbeirat „an den Entscheidungen in allen wesentlichen Angelegenheiten der Erziehung, Bildung und Betreuung in der Einrichtung, insbesondere soweit sie das pädagogische Konzept, die Organisation und die Betriebskosten betreffen“, zu beteiligen ist.
Dass die betroffenen Eltern so lange nicht informiert wurden und weiterhin nicht beteiligt werden, empfinde sie als „furchtbar“ und findet es nur verständlich, dass die Beschäftigten sich wehren: „Wenn man Dinge geheim hält, anstatt sie transparent darzustellen, muss man mit Widerstand rechnen.“ „Glückliche Erzieher sorgen für glückliche Kinder“ ist sie sich sicher, dass es zur Lösung des Konflikts ein Miteinander braucht.
Bedenken bei Ratsbeschluss 2021
2021 fiel die Entscheidung zur Kooperation mit dem Postillion keinesfalls einstimmig aus. So kritisierte die Fraktion der Grünen in ihrer Stellungnahme die Reduktion der Trägervielfalt von fünf auf vier sowie eine prozentuale Verschiebung des Anteils beim Postillion auf weit über 50 Prozent. Zudem bemängelten die Gemeinderäte den Wegfall sozialer Verantwortung vonseiten der Stadt, eine fehlende qualifizierte Wirtschaftlichkeitsprüfung sowie eine fehlende Ausschreibung, die das Sozialgesetzbuch zwar nicht zwingend vorschreibt, jedoch für Transparenz und Diskriminierungsfreiheit gesorgt hätte.
Die SPD bezog sich damals vor allem auf das in Artikel 20 des Grundgesetzes verankerte Sozialstaatsprinzip mit der besonderen Aufgabe der Daseinsvorsorge in der kommunalen Selbstverwaltung. „Diese Daseinsvorsorge, also in diesem Fall die Kindertageseinrichtungen, sollten für eine soziale Stadt in deren Verantwortung stehen und bleiben“, forderte die Fraktion 2021. Die fehlende Bereitschaft, personell in den Fachbereich zu investieren, legten die Gemeinderäte der Stadtspitze als „bewusste Ausdünnung und Abwertung des Fachbereichs aus“.
Als Begründung für das Anstreben der Kooperation hatte die Stadtverwaltung angeführt, dass sie „derzeit wenige Möglichkeiten sieht, das Fachamt mit eigenem Fachpersonal aufzuwerten, um für die drei Einrichtungen eine dringend benötigte pädagogische und organisatorische Begleitung zu gewährleisten“. Dass es in kommunaler Trägerschaft andernorts weiterhin zu funktionieren scheint, zeigt der Blick in umliegende Gemeinden: Egal, ob Neulußheim, Reilingen, Schwetzingen oder Ketsch und damit egal, ob gut 5000 oder knapp 22 000 Einwohner, zumindest eine kommunale und damit eine von Kirchen und freien Trägern unabhängige Einrichtung gibt es überall. In Altlußheim übernahm die Gemeinde sogar erst kürzlich eine zuvor evangelische Einrichtung.
Die in Hockenheim kritisierten großen Abstände zwischen Ausschreibung und Einstellung scheinen hier weniger ein Problem zu sein. Stattdessen lädt die Gemeinde als Alternative zur schriftlichen Bewerbung zum „Speed Dating“ ein.
Hockenheim nimmt sich Wilhelmsfeld als Beispiel
Den Schritt zur Gemeinde zurück, den die pädagogischen Fachkräfte der Stadt Hockenheim als einzig logische Konsequenz auf die geänderten gesetzlichen Regelungen und damit die Einhaltung der getätigten Zusage durch die Stadtspitze sehen, wählte auch die von gut 3000 Einwohnern bewohnte Gemeinde Wilhelmsfeld. Nachdem in einem von zwei dort angesiedelten Kindergärten kein städtisches Personal mehr vorhanden gewesen war, hatte der dort ebenfalls mit der Stadt kooperierende Postillion das Personal vollständig gestellt.
Nach Bemängelung fehlenden gemeindeeigenen Personals durch den baden-württembergischen Kommunalverband für Jugend und Soziales (KVJS), der die Stadt- und Landkreise unterstützt und begleitet, war im Gemeinderat die Entscheidung gefallen, die Einrichtung wieder in städtischer Trägerschaft zu führen. Das Personal des Postillions wurde mit der Option zur Rückkehr zu ihrem vorherigen Arbeitgeber von der Stadt übernommen.
Insofern setzen nun auch hier die städtischen Erzieherinnen und Erzieher ihre große Hoffnung in die Hockenheimer Stadträte, wenn es bei der Abstimmung Ende September um die Frage geht „Steht der Gemeinderat hinter den Interessen der Kinder sowie Eltern und den Mitarbeitern oder hinter denen des OB Zeitler“.
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