Jahresrückblick

Das Jahr 2022 in Schwetzingen: Rokokotheater, Decathlon, Klimawandel

Wie der Ukraine-Krieg die Pandemiesorgen ablöst, die Stadt Schwetzingen Projekte abschließt und wie sie außerdem neue anschiebt - das waren die Themen 2022.

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Jürgen Gruler , Katja Bauroth und Andreas Lin
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Der Spargelsamstag am 7. Mai stand unter dem Motto „Pure Lebenslust auf Schwetzingerisch“ – und dazu gehört hier der Spargelweitwurf. Jonathan zeigt, wie es geht. © Dorothea Lenhardt

Schwetzingen. Finden Sie nicht auch, dass das Jahr wie im Flug vergangen ist? Eben noch schlagen wir uns mit den kurzfristigen Landesverordnungen in Bezug auf Corona-Regeln herum, tragen Masken, dann nicht mehr und dann wieder eingeschränkt. 3G, 2G, 2Gplus, die Omikron-Variante, Boosterimpfungen – die ersten Monate lässt uns die Pandemie weiter Achterbahn fahren, allerdings wird einem dabei nicht mehr ganz so schwindlig wie in den beiden Jahren davor. In Sachen Geduld, Flexibilität und letztlich auch Hinnahme haben wir wohl einiges dazugelernt. Vielleicht haben wir uns auch einfach nur ein gesundes Maß an Ignoranz angeeignet und sind wieder bereit, mehr Verantwortung für uns selbst zu übernehmen.

Und nicht nur für uns selbst: Mitte März kommen die ersten Flüchtlinge aus der Ukraine in Schwetzingen an. Sie fliehen vor dem Angriffskrieg des russischen Präsidenten Wladimir Putin und erleben hier Gastfreundschaft. Die Schwetzinger zeigen einmal mehr, dass man auf sie zählen kann, wenn Hilfe benötigt wird. Es werden Spendenaktionen aus dem Boden gestampft, Lastwagen transportieren Hilfsgüter in die Kriegsgebiete, Einheimische nehmen Geflüchtete bei sich auf und die Menschen in der Region demonstrieren öffentlich gegen den Krieg.

Tops und Flops 2022

Tops

  • Babyboom nach den Corona-Lockdown-Phasen: Die GRN-Klinik meldet im Januar so viele Geburten wie nie zuvor in 2021. Kamen dort 2020 noch 867 Babys zur Welt, waren es 2021 immerhin 963.
  • Gastronomin Annette Schmidt beendet Ende Januar nach 26 Jahren das Pachtverhältnis der „Kurfürstenstube Schwetzingen. Im Mai steht fest: Andreas Bante und Martin Wynaends van Resandt, die seit März 2020 das „Schlossrestaurant Theodors“ betreiben, übernehmen das Kleinod im Ehrenhof. Definitiv eine prima Entscheidung, wenn man die tolle Entwicklung der Schlossgastronomie betrachtet! Hier hat Bante eine neue In-Location und Kulturstätte geschaffen, die noch einige Überraschungen bereithält.
  • Ab 1. März gab’s was Schönes fürs Gemüt unter den rosa blühenden Zierkirschen im Schlossgarten Schwetzingen: eine illustre Gartenzwergeausstellung. Witzig, lässig und viel fotografiert – mehr davon!
  • Glückliche Gesichter beim Verein „Die Brücke“ und der Stadt: Ein neues Domizil für die Wärmestube ist gefunden. In dem Haus in der Friedrich-Ebert-Straße 25 werden zudem Wohnungen für bedürftige Familien eingerichtet. Eine gute Nachricht in diesen angespannten Zeiten.

Flops

  • Der Startschuss für den Radschnellweg SchwetzingenHeidelberg ist gefallen. Doch mit der Umsetzung der Strecke werde frühestens in acht Jahren begonnen. Bis dahin beamen wir uns doch schon umweltfreundlich von A nach B . . .?!
  • Eine bedenkliche Entwicklung ist der Fachkräftemangel. Ob Handwerksbetriebe oder nach den Pandemiejahren in der Gastronomie – überall werden Mitarbeitende gesucht. Bei Schwetzinger Wirten macht sich das mittlerweile durch geänderte Öffnungszeiten einiger Lokale bemerkbar. Im „Grünen Baum“ versucht man, neue Wege zu gehen: Mit „Bella“ kommt ein Roboter im Service zum Einsatz.
  • Das Luxor-Kino ist zu. Angeblich nur auf Zeit – pandemie- und wirtschaftlich bedingt. Doch irgendwie bleibt das Gefühl, dass diese Ansage des Betreibers mehr Wunsch denn Realität ist, was schade wäre.

Letztlich wirkt sich dieser im Laufe des Jahres auf unsere Lebensumstände aus: Als Putin den Gashahn zudreht, steigen die Preise. Sprit, Lebensmittel, Energie – alles wird teurer. Das macht den Menschen zu schaffen. Gepaart mit den Pandemiejahren werden die gesamt- und privatwirtschaftlichen Folgen dieser Krise erst in den nächsten Jahren richtig deutlich werden.

Jahresrückblick Schwetzingen 2022: Kostenexplosion beim Rothacker’schen Haus

In Sachen Investitionen ist die Stadt zurückgerudert: Der Gebäudekomplex des Rothacker’schen Hauses wird saniert und umgebaut, jedoch in einer deutlich abgespeckteren Version als geplant. Eine Kostenexplosion auf 21,5 Millionen Euro führte zu diesem Umdenken, jetzt belaufen sich die Investitionen auf 11,5 Millionen Euro. Im Gemeinderat fand die kleinere Version Zustimmung – ohne Anbau und Gastronomie, mit einem deutlich reduzierten Ausbau von Keller- und Dachgeschoss sowie einer weniger aufwendigen Lüftungs- und Klimaanlage. Platz finden werden das Stadtmuseum mit Dauerausstellungen zu den Themen Spargel und Festspiele sowie die neue Touristinformation. Die Planungen sehen vor, dass die Stadt ab November 2023 in die Bauausführung gehen will, eine Fertigstellung ist Ende 2025 vorgesehen.

Die erste S-Bahn läuft ein. © Dorothea Lenhardt

Fertig wurde derweil der S-Bahn-Haltepunkt im Hirschacker. Die ersten Planungen hierfür liegen mehr als 20 Jahre zurück. Mitte Dezember wurde dann nach 20 Monaten Bauzeit die damit zweite S-Bahn-Haltestelle eingeweiht. Um die 300 Bürger kamen und feierten bei Würstchen und Glühwein.

Apropos: Es wurde wieder viel gefeiert – zum Glück! Und einen großen Anteil daran hat der neue Geschäftsführer des Stadtmarketing-Vereins, Oliver Engert. Er brachte die „Schwetzinger Partymeile“ in Schwung. Der erste Spargelsamstag unter seiner Regie verdiente definitiv das Motto „Pure Lust auf Schwetzingerisch“. Spargel-anstich, französischer Markt und Schwetzinger Herbst sind nur einige Stationen, mit denen buntes Leben Einzug hielt. Eine leichte Aufgabe steht Engert jedoch in den nächsten Monaten mit Blick auf die Krise nicht bevor, die auch die Einzelhändler in der Stadt beutelt. Daher sind Zusammenhalt und Gemeinschaft wichtiger denn je in einem Verbund wie dem Stadtmarketing.

Jahresrückblick

Das Jahr in Bildern: Schwetzingen 2022

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Wunderbar war auch die zweite Auflage der Fête de la musique durch die Mozartgesellschaft Schwetzingen: Die singende, klingende Stadt lockte einmal mehr begeisterte Besucher an dem warmen Sommerabend im Juni an. Knackig kalt hingegen und sogar leicht verschneit war der 11. kurfürstliche Weihnachtsmarkt. Er wurde an den vier Veranstaltungswochenenden zum Publikumsmagneten und ist ein tolles Aushängeschild für Schwetzingen.

Jahresrückblick Schwetzingen 2022: Pigage – wer ist das denn?

Eigentlich hatte Michael Hörrmann immer ein recht gutes Händchen für Öffentlichkeitsarbeit für die Staatlichen Schlösser und Gärten in Baden-Württemberg (SSG). Aber just eine seiner letzten Amtshandlungen vor dem Ruhestand ging so richtig in die Hose. Da schickte die SSG am Nachmittag des 9. November eine Pressemitteilung raus, in der stand, dass das Schwetzinger Rokokotheater in Pigage-Theater umbenannt werden solle. Und zwar zum 300. Geburtstag des kurfürstlichen Baumeisters Nicolas de Pigage, der im August 2023 gefeiert werden darf. Unserer Redaktion war die Meldung so wichtig, dass sie auf der Titelseite landete mit der Anmerkung, dass dies sicherlich in Schwetzingen für Diskussionen sorgen werde.

Die vermeintliche Umbenennung des Rokokotheaters, erbaut von Nicolas de Pigage, sorgt im November für ordentlich Trubel. © Bauroth

Am gleichen Tag trudelte per Post in der Redaktion und bei allen Mitgliedern des Freundeskreises das Programmheft für die SWR Festspiele im Mai 2023 ein, das dann am Abend des 10. November im Palais Hirsch von der künstlerischen Leiterin Heike Hoffmann vorgestellt wurde. Und in diesem Heft war die Umbenennung bereits vollzogen. Es stellte sich dann heraus, dass der SWR als wichtigster Kunde und der Schwetzinger Oberbürgermeister Pöltl schon Monate zuvor über die Pläne informiert wurden und die offensichtlich für gut befunden hatten. Aber niemand hatte es für nötig gehalten, mal ein Stimmungsbild der Menschen vor Ort einzuholen. Das bekamen sie dann um die Ohren gehauen. Es gab tagelang kein anderes Thema mehr in der Stadt.

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Besonders schlimm kam hier an, dass der neben einer Würdigung des Baumeisters genannte zweite Grund für eine Umbenennung als Aneignung des Namens Rokokotheater durch die Nazi-Zeitung „Das Hakenkreuzbanner“ behauptet worden war. Landtagsabgeordneter Andreas Sturm (CDU) ging ins Landesarchiv, widerlegte dort dieses Argument, kündigte eine Unterschriftensammlung gegen die Umbenennung an. Auch seine Kollegen Daniel Born (SPD) und Andre Baumann (Grüne) sprachen sich strikt dagegen aus. Ex-Finanzminister Stratthaus telefonierte mit Ministerpräsident Kretschmann, Baumann mit Finanzminister Bayaz und Staatssekretärin Splett. Der Druck wurde immer größer, wollte Hörrmann erst noch bei einer Bürgerversammlung im Theater die Entscheidung diskutieren, so knickte er schließlich komplett ein und cancelte die Umbenennungspläne. Auch diese gute Nachricht schaffte es wieder auf Seite eins unserer Zeitung. Und wir sind ein bisschen stolz darauf, diese Verrücktheit mit verhindert zu haben.

Diese Schwetzinger sind 2022 für immer gegangen

2022 war auch wieder ein Jahr des Abschiednehmens von Menschen und Persönlichkeiten, die die Stadt Schwetzingen auf ihre Art und Weise geprägt haben. Stellvertretend für alle anderen wollen wir an ein paar von ihnen erinnern:

  • Dr. Lothar Gaa: Er hat die Justiz, die Politik und die Kirchenmusik gleichermaßen geprägt. Dr. Lothar Gaa begann als Landesvorsitzender der Jungen Union, war Stadtrat in Schwetzingen, wurde Landtagsabgeordneter und schließlich Präsident des Landtags von Baden-Württemberg. Im Mai verstarb er im Alter von 91 Jahren.
  • Herbert Nerz: Er war der grüne Daumen der Stadt. Der Ur-Schwetzinger war eines der prägenden kommunalpolitischen Gesichter und der bekannteste Liberale seit Gründung des FDP-Ortsverbands vor 76 Jahren. Aber auch als Geschäftsmann setzte der Gärtnermeister Akzente. Nerz starb im August im Alter von 84 Jahren.
  • Professor Josef Walch: Der Künstler, Kunsterzieher, Kurator und Publizist Professor Josef Walch verstarb im März im Alter von 75 Jahren nach kurzer, schwerer Krankheit. Er hatte ein großes Herz für Kunst, Kultur und Kommunalpolitik, so saß er schon in seiner Heimatgemeinde Reilingen für die SPD im Gemeinderat, nach dem Umzug nach Schwetzingen ab 2019 für die Grünen.
  • Lothar Orth: „The Voice“ ist im Januar für immer verstummt. Er war einer der bekanntesten Schwetzinger Rockmusiker der vergangenen Jahrzehnte, prägte unter anderem die Bands „Music Power“ und „Nobody’s Perfect“. Er wurde nur 67 Jahre alt.
  • Bernd „Fips“ Rohr: Nur drei Wochen nach seinem 85. Geburtstag ist der Schwetzinger Radsportweltmeister Bernd „Fips“ Rohr im Dezember gestorben. 1962 hatte Bernd Rohr mit Ehrenfried Rudolph, Lothar Claesges und Klaus May in Mailand den WM-Titel in der Mannschaftsverfolgung gewonnen.
  • Cornelius Kieser: Kurz vor Weihnachten kommt auch noch diese traurige Nachricht vom Tod des in der Stadt äußerst bekannten und beliebten Buchhändlers.
  • Herbert Liebscher: Zuletzt sei noch an einen Menschen erinnert, der nie im Rampenlicht gestanden hat, aber auf seine Art eine ganz besondere Persönlichkeit war: Herbert Liebscher war „Mister Badenia Hirschacker“. Er hat seinen Verein und den Fußball gelebt und geliebt – auch war er lange Zeit für unsere Zeitung ein treuer Ratgeber.

Chefredaktion Jürgen Gruler ist Chefredakteur der Schwetzinger Zeitung.

Autor Katja Bauroth liebt Begegnungen und Storys - im Lokalen und auf Reisen.

Redaktion Stv. Redaktionsleiter + Lokalsportchef Schwetzinger Zeitung

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