Hockenheim. In den bisherigen Darstellungen der Hockenheimer Motorsportgeschichte wurde das Geschehen während des „Dritten Reichs“ als weitestgehend unpolitisch dargestellt. Und so wurde sie auch von den allermeisten Zeitgenossen wahrgenommen. Faschistische Symbole wie Hakenkreuzbinden und Verhaltensweisen wie das Singen des „Horst-Wessel-Lieds“ sowie das Brüllen von dreifachen „Heil-Hitler“-Rufen bei Massenveranstaltungen wurden nicht als dezidiert politisch und als überbordende Propaganda wahrgenommen, sondern sie waren Teil des Alltags.
Die nationalsozialistischen Verantwortlichen merkten schnell, dass ein Übermaß an ideologischer Indoktrination bei vielen Bürgern auf Ablehnung stieß. Es erwies sich als viel effektiver, Unterhaltungsangebote wie Sportveranstaltungen zu bedienen und diese subtil mit Propaganda aufzuladen. Die Zuschauer kamen nicht, um sich mit politischen Themen auseinanderzusetzen, sondern um sich abzulenken. Sie wollten sich mit all ihren Sinnen von der Veranstaltung in ihren Bann ziehen lassen: der Geruch nach Gummi und Benzin, der Lärm der rasenden Motoren, die spannenden und gefährlichen Zweikämpfe.
Der Hockenheimring sollte zur NS-Zeit als vermeintlicht unpolitischer Ort dienen
Auf der Hockenheimer Rennstrecke dominierten daher Werbebanner der Motorrad-, Öl- und Reifenfirmen und nicht nationalsozialistische Symbole. Einen Kontrast dazu bildeten die geschmückten und beflaggten Häuser in der Stadt selbst. Die Rennen sollten wie unpolitische Rückzugsräume wirken, sie boten jedoch auch Gelegenheit, die nationalsozialistische Ideologie zu verbreiten.
Die NS-Spitze propagierte medial die – erwünschte – Überlegenheit deutscher Sportler und deutscher Technik. Erfolge im Ausland und Heimsiege gegen internationale Konkurrenz fügten sich besonders gut in dieses Narrativ ein. Umso störender müssen die neuen Machthaber die Boykottaufrufe für das Rennen in Hockenheim im Mai 1933 wahrgenommen haben. Besonders da das Rennen, welches überhaupt erst das zweite auf der neuen Strecke war, das erste mit großer internationaler Beteiligung sein sollte (Hockenheimer Zeitung vom 4. Mai 1933).
Nachdem der englische Motorradfahrerverband zu einer Absage aufgerufen hatte, zogen alle englischen Fahrer bis auf Tom Bullus, welcher in den Presseberichten als deutscher Fahrer bezeichnet wurde, ihre Anmeldungen zurück. Die beiden südlichen Nachbarn Deutschlands – Österreich und die Schweiz – bereiteten daraufhin ebenfalls „erhebliche Probleme“, da sie mit einem Boykott drohten. Der Verfasser des Artikels stellt die rhetorische Frage, ob die Veranstaltung die Bezeichnung „Internationales Motorradrennen“ überhaupt noch verdient habe (Hockenheimer Zeitung vom 20. Mai 1933).
Hockenheimring zur NS-Zeit: Faschistische Italiener als einzige Partner
Den Sport will er als unpolitische Angelegenheit betrachtet wissen: „Man mag zur Regierung der nationalen Erhebung stehen wie man will, dieser Beschluss wird unverständlich bleiben, denn der Sport macht auch vor den Grenzen nicht Halt“. Auch am 16. Mai 1933 wurden in der lokalen Zeitung die Absagen thematisiert, allein von italienischer Seite, dem faschistischen Verbündeten des Deutschen Reichs, habe es keine Komplikationen gegeben.
Beispielsweise der französische Motorsportverband habe auf die Einladung zum Hockenheimer Rennen keine Antwort gegeben. Der Autor fragt spöttisch, ob sie „vor lauter Abrüstung“ dafür keine Zeit gefunden hätten. Letztlich wird der Boykott relativiert, es fehlten „nur wenige Fahrer von Bedeutung“, Trost böte die leistungsstarke „Besetzung durch Deutschlands Elite“.
Die eben genannte „Elite“ wird auf der Titelseite der Hockenheimer Zeitung mit folgenden Worten begrüßt: „Sportleute aller deutschen Stämme, Badner, Württemberger, Bayern, Rheinländer, Hessen, Hannoveraner, Brandenburger, Sachsen, Westfalen, Thüringer“. Die Aufzählung der „Stämme“ soll den Eindruck von Stärke und Zusammenhalt in Zeiten äußerer Anfeindungen demonstrieren.
Hockenheimring 1936: Nazis mit nur wenigen Rennsportgästen aus dem Ausland
Willkommen geheißen werden auch „die Ausländer, die trotz der Hetze gegen Deutschland“ kamen, „Sportler aus dem Bergland der Eidgenossen und aus dem sonnigen Süden“. Auch in den folgenden Jahren nahmen noch ausländische Fahrer an Hockenheimer Rennen teil. Vor dem Rennen im Jahr 1936 schrieb die Hockenheimer Zeitung rückblickend: „Schon fünf Mal fanden sich unsere besten Rennfahrer mit einigen Ausländern auf dem Hockenheim-Ring zu hinreißend schönen Sportkämpfen zusammen.“
In dieser Formulierung werden qualitative und quantitative Unterschiede zwischen deutschen und ausländischen Teilnehmer gemacht. Das nationalsozialistische Verständnis von Sport beruhte eben auf dem Konkurrenzgedanken und dem Willen, Überlegenheit zu demonstrieren.
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Um weiterhin attraktiv für Fahrer aus dem In- und Ausland zu sein, wurde die Hockenheimer Rennstrecke kontinuierlich ausgebessert und ausgebaut. Aufgrund des Streckenumbaus konnte 1938 erstmals ein Automobilrennen auf dem Hockenheimring durchgeführt werden. Die Fahrbahn wurde auf das „Autobahnmaß“ von 7,5 Metern verbreitert, spitze Kurven abgerundet und Wölbungen im Fahrbahnbelag eingeebnet.
Die Strecke des Hockenheimrings wurde von den Nazis gekürzt
Dabei wurde die Strecke um vier Kilometer auf 7,8 Kilometer gekürzt. Dies hatte zur Folge, dass die Fahrzeuge in kürzeren Intervallen an den Zuschauern vorbeikamen. Zudem war das Fahrerfeld enger beieinander und bot mehr spannende Zweikämpfe. Begleitprogramm beim Eröffnungsrennen waren drei „KdF“ – „Kraft durch Freude“-Wagen – , die auf dem Platz bei der Zielgeraden standen, vor Rennbeginn eine Runde auf der Rennstrecke drehten und „bei den Massen viel Beachtung fanden“. Sicherlich träumten zahlreiche Zuschauer nach dem Demonstration der Funktionstüchtigkeit vom eigenen Auto.
Die Entwicklung von Motorfahrzeugen und das Aufkommen von Rennen standen in einem wechselseitigen Verhältnis. Die Belastungen bei Rennen waren ein Härtetest, der nicht mit den Bedingungen des alltäglichen Straßenverkehrs vergleichbar war. Diese Erprobungsfahrten schienen zudem lukrativ für den Besitzer der Strecke, die Stadt Hockenheim, zu sein.
Die Verantwortlichen erkannten das wirtschaftliche Potenzial des Vorhabens, zumal Südwestdeutschland und im Besonderen Baden „während der letzten Jahre des alten Regimes und der immer größer werdenden Wirtschaftsnot eine Kraftfahrzeugprüfungsstrecke nach der anderen verlor.“ (Hockenheimer Zeitung vom 23. August 1933).
Der Hockenheimring profitiert von der Wirtschaftsnot während der NS-Zeit
Gründe hierfür waren, dass die Genehmigung für die Nutzung der öffentlichen Straßen entzogen wurde und dass die Strecken aufgrund der gestiegenen Leistung der Motorräder aus Sicherheitsgründen nicht mehr geeignet waren. Öffentliche Gelder für Baumaßnahmen standen wegen der wirtschaftlichen Lage nicht zur Verfügung.
Dass Härtetests für die Entwicklung der Motorräder von großer Bedeutung waren, spiegelt sich in den Presseberichten wider: Rückblickend auf das Mairennen 1933 wird konstatiert, dass „das beste Kolbenmaterial nur noch gut genug war.“ (Hockenheimer Zeitung vom 26. August 1933 und Hakenkreuzbanner vom 27. August 1933).
„Die hohen Geschwindigkeiten stellen eine ungeheure Zerreißprobe für die Motoren, besonders bei der warmen Witterung, dar“ (Hockenheimer Zeitung vom 20. Mai 1933). Diese Feststellung ist sicherlich keine Übertreibung, hatten doch bei einem Rennen im August 1933 zirka ein Drittel der Maschinen einen technischen Defekt, 17 der 56 Teilnehmer konnten das Rennen nicht beenden (Hockenheimer Zeitung vom 28. August 1933).
Hockenheimring zur NS-Zeit: Hohe Ausfallquote bei den Rennen
Neben der hohen Ausfallquote bei den Rennen selbst kommt hinzu, dass viele Fahrer nicht zum Rennen erschienen, die festgesetzten Mindestgeschwindigkeiten beim Pflichtlauf nicht erreichten oder bereits beim Training einen kurzfristig nicht reparierbaren Schaden erlitten hatten.
Im August 1933 fand erstmals ein Seitenwagenrennen auf dem Hockenheimer Dreieckskurs statt. Bei diesem erreichten nur sechs von 17 Gespannen das Ziel (Hakenkreuzbanner vom 28. August 1933). Besonders die beiden langen Geraden des Dreieckskurses ermöglichten Höchstgeschwindigkeiten, die einen enormen Verschleiß zur Folge hatten.
1938 wurde die Hockenheimer Rennbahn – der Dreieckskurs – mit öffentlichen Geldern aufwendig umgebaut. Die staatliche Unterstützung und die schnelle Umsetzung des Vorhabens wurden in der lokalen Presse deutlich und unter namentlicher Nennung der badischen Spitzenpolitiker hervorgehoben. Der Bevölkerung sollte vor Augen geführt werden, wem sie den Aufschwung zu verdanken hatten.
Die neue Strecke des Hockenheimrings bot einen entscheidenden Vorteil
Die neue Strecke bot einen entscheidenden Vorteil gegenüber der Vorgängerin. Sie war unabhängig vom öffentlichen Straßennetz. Die Form der alten Strecke glich einem Dreieck, die „Grundseite“ war die öffentliche Landstraße zwischen Oftersheim und Walldorf. Bei Veranstaltungen musste diese für die entsprechende Dauer der Trainings und Rennens gesperrt werden. Die für die Sperrung notwendigen Genehmigungen bereiteten den Veranstaltern in den Anfangsjahren Schwierigkeiten.
Außerdem traf die Nutzung der Rennstrecke als Teststrecke beim Forstrevier Schwetzingen auf regen Widerstand. Streitpunkt war der Abtransport der gefällten Bäume über die Rennstrecke, welche zu über 90 Prozent im Wald lag. Die Stadt befürwortete den Bau von Ersatzstraßen, um eine Beschädigung des neuen Straßenbelags der Rennbahn durch die schweren Fuhrwerke zu vermeiden und um eine stete Verfügbarkeit der Strecke zu gewährleisten.
Das Forstamt äußerte am 1. Februar 1939 gegenüber dem badischen Wirtschaftsministerium in Karlsruhe, dass „auch der Bürgermeister von Hockenheim so schlau ist, durch zu große Nachgiebigkeit gegenüber den Forderungen der Industrie und durch intensive Werbungen und Bemühungen, den Verkehr auf der Rennstrecke anschwellen zu lassen, daß wir notgedrungen zum Bau der Ersatzstrecke schreiten müssen.“ Die Stadt Hockenheim sollte sich dann an den Baukosten beteiligen.
Die Nazis nutzten den Hockenheimring zur Inszenierung der nationalen Stärke
Die Geschichte des Hockenheimrings während des „Dritten Reichs“ zeigt, wie Sportveranstaltungen als Mittel subtiler Propaganda genutzt wurden, um die nationalsozialistische Ideologie zu verbreiten, ohne offen als politische Instrumente wahrgenommen zu werden. Obwohl der Motorsport an sich als unpolitische Unterhaltung dargestellt wurde, nutzte das Regime die Bühne, um die Überlegenheit deutscher Technik und Sportler zu inszenieren und nationale Stärke zu demonstrieren.
Die staatliche Unterstützung und die Investitionen in die Infrastruktur unterstreichen die Rolle des Motorsports als gängiges Propagandainstrument und zugleich als Wirtschaftsfaktor.
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